Hier ist der brand eins Podcast im Oktober 2025 und in diesem Monat sind wir thematisch sehr nah dran am brand eins Heft, denn darin geht’s um Führung und das finden wir auch hier beim Podcast Radio detektor.fm ziemlich spannend. Nachdem wir uns ja schon mit der Führung eines Theaters beschäftigt haben, schauen wir diesmal an einen Ort, den noch mehr Leute kennen: die Schule. Ich selbst habe noch vor dem ersten Pisa Schock die Schule verlassen. Heiße Christian Bollert und dieser Podcast hier ist meine ganz persönliche Bildungsempfehlung. Führung ist eines der Schlagworte, zu denen die meisten Menschen sicher sofort Assoziationen haben. Mir fallen da z. B. ziemlich schnell Hierarchien ein. Motivation ist auch so ein häufig benutztes Wort und dann ist da auch noch die viel berühmte Fehlerfreundlichkeit oder auch der soziale Zusammenhalt einer Gruppe. Und all diese Sachen, die sind ziemlich universell, denn die treffen, wie vergangene Woche gehört, im Theater zu, aber eben auch in der Werkhalle eines Industrieunternehmens oder auch in der Schule. Und genau darum geht\\\\\\\’s in dieser Ausgabe unseres gemeinsamen Podcasts. Vermutlich sind an kaum einem Ort die Führungsrollen, zumindest auf den ersten Blick, so klar verteilt: Lehrerinnen und Lehrer führen Klassen und Schulleiterinnen und Schulleiter führen Schulen samt jungen Menschen und Kollegium. An der Stadtteilschule Helmut Hübener in Hamburg Barnbeck macht das Bianca Thies und sie hat dabei einen ganz eigenen Führungsstil entwickelt. Sprechen wir doch drüber. Ich sage Moin nach Hamburg und willkommen im brand eins Podcast. Ja, hallo. Du organisierst eine Schule mit 1300 Schülerinnen und Schülern. Ist das ein Spannungsverhältnis zwischen Vorschriften und Menschen, wie man sich das vielleicht so von außen vorstellt? Naja, also wenn man alles in Vorschriften machen könnte, dann bräuchten wir eigentlich gar keine Führung. Dann kann das von einem Programm ausgeführt werden. Führung braucht man eigentlich ja auch deswegen, weil nicht alles sich in Regeln abbilden lässt. Und insofern, ja, da ist manchmal ein Spannungsfeld. Aber das Schulgesetz hat an bestimmten Stellen Punkte, die man kreativ interpretieren kann und sozusagen sowohl wir als Menschen als auch das Gesetz möchte ja ermöglichen, dass alle gut gebildet werden. Und dann kommt man meistens irgendwie zusammen. Es hat natürlich einen Grund, dass ich auf diese Regeln so ein bisschen so abhebe, weil es gibt eine Umfrage des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie und darin klagen 86 Prozent, also ein sehr großer Teil von über 2400 Schulleitungen über genau diese Regeln, über bürokratische Hürden. Und die würden laut der Aussage dieser Untersuchung oder Befragung die Schulentwicklung ausbremsen. Da würdest du aber so pauschal nicht zustimmen, oder? Nun, wir sind hier in Hamburg, was das angeht, ein bisschen im Tal der Seligen, weil sich Hamburg schon vor vielen Jahren für selbstverantwortete Schule entschieden hat. Das heißt, es gibt durchaus Bundesländer, in denen man sehr viel mehr Regeln hat. Da habe ich selbst nie eine Schule geleitet. Aber wir haben hier schon viele Möglichkeiten als Schulleitungen zu entscheiden, was vor Ort im jeweiligen Stadtteil das Richtige ist für die Menschen, die dort zusammenkommen. Und das ist ungewöhnlich deutschlandweit. Da versucht man vieles auf Bundeslandebene für alle gleich zu regeln. Wo gibt es denn in Hamburg praktische Hürden? Jetzt ganz konkret für dich. Woran scheiterst du auch immer mal? Also in Hamburg ist die größte praktische Hürde, finde ich, dass die Arbeitslast dann teilweise an der Menge an Sachen, die man entwickeln soll, einen manchmal wirklich vor Quadraturen des Kreises stellt. Das heißt, Selbstverantwortung ist schön, aber wenn zu viele sich teilweise widersprechende Sachen da sind, die erledigt werden müssen, dann ist es schwierig, sozusagen. Und da zerreibt man sich. Also zum Beispiel, keine Ahnung, alle Schüler sollen Klassenfahrten machen, aber ein 24/7 Dienst ist zum Beispiel mit jungen Kolleginnen, die kleine Kinder zu Hause haben, vielleicht auch alleinerziehend sind, gar nicht so simpel möglich. Das sind so Sachen, wo Schulgesetz und Vorschriften nicht immer mit dem richtigen Leben mitkommen. Das ist so ein Klassiker an Kleinigkeiten. Was macht man denn da? Naja, wir überlegen jetzt gerade, können wir die Art Klassenfahrten, aber da würden wir im Moment drüber und versuchen, eine Lösung zu finden, ein anderes Klassenfahrtskonzept zu entwickeln, was immer noch den Behördenvorgaben entspricht, aber dann darauf mehr Rücksicht nimmt. Also es gibt halt Sachen, die sind nicht beschrieben, was genau eine Klassenfahrt ist. Und man muss eigentlich immer gucken, was nicht beschrieben ist und gucken, ob das vielleicht genau der Schlüssel ist, mit dem man eine bessere Lösung findet. Wie kann ich mir das konkreter vorstellen? Also kannst du darüber reden oder möchtest du darüber reden? Also es gibt Klassen- und Projektfahrten im Schulgesetz und Projektfahrten, in denen man sozusagen den Schülern, die das können und wollen, sozusagen Reisen ermöglicht, aber nicht unbedingt eine ganze Klasse sofort schickt, sondern für alle eine Horizonterweiterung vorsieht. Aber egal, ob man die jetzt vor Ort hat, indem man zum Beispiel ein Theaterprojekt macht, was den Horizont erweitert, oder ob man wirklich sich in irgendeinen Zug setzt und irgendwo hinfährt, um den Horizont zu erweitern. Das sind vielleicht Möglichkeiten. Also an der Stelle ist das Gesetz wirklich eher ziemlich eng. Also wir organisieren vieles in Klasse in der Schule. Das ist zum Beispiel eine der Hürden. Und die Klasse ist aber nicht für jeden Menschen der richtige Aufenthaltsort. Und gerade für sehr individuelle Entwicklungsprozesse muss man manchmal andere Möglichkeiten suchen. Also wir haben zum Beispiel an der Schule einen Projektzug, die eben auch mit jahrgangsübergreifendem Lernen arbeiten. Das heißt, dass da Schüler, wie auch an anderen, also zum Beispiel Stadthallschule Winterhude, mehrere Jahrgänge in einer Klasse sind, sozusagen. Und das ist durchaus erlaubt und bietet aber Möglichkeiten, auf unterschiedliche Entwicklungen nochmal anders Rücksicht zu nehmen. Und das gilt auch für Klassenfahrten. Also oft sind Klassenfahrten der kleinste gemeinsame Nenner. In der Oberstufe ist es dann oft so, dass alle nach Barcelona fahren, weil so die Mitte zwischen schönem Wetter und Museum ist, also Bildungsreise. Und sobald man nicht festschreibt, dass dieselbe Gruppe, die schon die ganze Zeit in der Woche zusammensitzt, irgendwo gemeinsam hinfährt, entstehen auf einmal andere Sachen. Also das weiß ich, ein Kollege, der sehr gerne Volleyball spielt, der dann sozusagen ein Beachvolleyballcamp anbietet, oder ein Kollege, der Wakeboarden liebt, sozusagen Wakeboardcamp. Da würde man nie im Leben eine Klasse, die doch eher aus zufälligen Bekannten, die die Bürokratie so zusammengeschmissen hat, sozusagen besteht, dazu bringen, dass sich alle darauf einigen, Wakeboarden zu gehen. Muss auch nicht jeder. Und da so zu überlegen, an welcher Stelle sind Gemeinsamkeiten sinnvoll, weil wir als Schule ja auch die Aufgabe haben, dass wir bis zu einem gewissen Grad vermitteln, dass man in einer Gruppe klarkommt, auch wenn nicht alles, was die Gruppe gerade macht, dem eigenen Plan so ganz genau entspricht. Aber wir sind ja nun mal in einer Gesellschaft, wo wir auch fordern und fördern, dass Schule auch Individuen ausbildet, die wissen, was sie wollen und das auch mit Verantwortung so umsetzen können. Und dann müssen wir auch in Schule in anderen Formen denken. Verstehe ich das richtig, dass das dann im weiteren Gedankengang auch bedeutet, dass es dann ein bisschen einfacher oder flexibler wird, die Aufsicht zu koordinieren? Naja, es ist einfach so, also kein Beruf würde einen 24/7 Dienst machen und das nicht in Freizeit ausgleichen. Das ist aber im Lehramt zum Beispiel ganz normal. Man geht davon aus, dass ein Klassenlehrer mit einer Gruppe von Menschen, von der manchmal nicht mal die Eltern 28 auf einem Haufen haben wollen würden, wenn ihr eigenes Kind mal 28 da wäre, mit allen Stimmungen, dass dann zwei Erwachsene mit so einer Gruppe auf Reise gehen, das 24/7 machen, dann ein Wochenende haben und montags wieder zum Dienst antreten, ohne dass das ausgeglichen wird. Das gibt es meines Wissens in keinem Job. Und insofern ist es so, dass bei den ganzen Belastungen, die sowieso da sind, also es kommen immer mehr Aufgaben dazu, dann einfach, also mir hat in der Behörde noch niemand beantworten können, also es gehört zu den Aufgaben eines Lehrers dazu, dass man auf Klassenfahrt fährt, aber es gibt gar keine Zwangshebel. Also ich kann auch einen Kollegen, der einen guten Grund hat, nicht mitschicken. So, und gute Gründe gibt es inzwischen viele. Also entweder, weil ich es körperlich nicht schaffe, einen 24/7 Dienst zu machen, also 24/5 Dienst an der Fahrt. Klassenfahrten sind in der Regel fünf Tage oder weil ich kleine Kinder zu Hause habe, die ich nicht betreuen kann, sozusagen. Das ist einfach aus der Zeit gefallen. Und das haben wir manchmal. So, und das bringt einen dann auch im Alltag an den Rand. Und viele Sachen, die wir ermöglichen an Schule, die sind nicht verboten, aber sie sind entweder nicht richtig definiert oder sie sind definiert für Ausnahmefälle. Und da ein gutes Maß zu finden, wie man die Ausnahme zu regeln, macht das ist vielleicht ein Verfahren. Das sagt Bianca Thies, Schulleiterin an der Stadtteilschule Helmut Hübener in Hamburg, im Gespräch beim Podcast Radio detektor.fm. Wir sprechen in dieser Episode noch weiter über Führung und auch natürlich über ihren ganz persönlichen Führungsstil. Bianca, wie würdest du denn deinen persönlichen Führungsstil tatsächlich beschreiben? Also mein Führungsstil ist erstens mal teamorientiert, würde ich sagen. Das heißt, ich versuche den Menschen, weil in der Regel habe ich Kollegen, die machen den Job gerne, die treten an, um Schülern Bildungschancen zu ermöglichen und sind in bestimmten Sachen besser als in anderen. Und wenn ich irgendwie die Möglichkeit habe, die Menschen nach ihren Begabungen einzusetzen, dann versuche ich das auch zu machen, weil die Belastung, die der Lehrerberuf an bestimmten Stellen einfach hat. Also die Studien zur Arbeitszeit von Lehrkräften, die sind ja inzwischen Geschichte und keiner weiß, wie er daran was ändern will, weil wir im Prinzip ja gar keine Lehre haben oder kein Geld ausgeben wollen, um da andere Arbeitsverhältnisse zu machen. Da warte ich drauf, aber ich habe da nicht so viel Hoffnung. Das heißt, ich muss den Leuten Möglichkeiten geben, dass sie ihre eigenen Stärken mit einbringen können. Und dann ist es so, dass ich sagen würde, ich versuche, weil das Problem ist ja, dann geht dir dein Mitarbeiterteam so in alle Richtungen unter Umständen, oder das ist die Gefahr, wenn du im Prinzip jedem sein Steckenpferd versuchst zu ermöglichen. Und das funktioniert natürlich auch nicht. Und deswegen ist die zweite Aufgabe, neben dem, ich würde mal sagen, stärkenorientierten, was ich versuche umzusetzen, vielleicht über so quasi 80 Prozent Standard, 20 Prozent stärkenorientiert. Dann ist das zweite, dass natürlich, wenn alle unterschiedliche Steckenpferde haben, dass ich finde, dass eine Aufgabe von Führung auch ist, dem ganzen Laden zu erzählen, was sie miteinander zu tun haben könnten. Das heißt, ich gucke mir die einzelnen Begabungen an. Wir haben ein Leitbild in der Schule, das ziemlich gut ist. Das habe ich auch nicht selbst erarbeitet, sondern das hat die Schule sich vor zehn Jahren gegeben. Das trägt aber ziemlich weit und einfach gucke einfach immer, okay, wie gehören diese einzelnen Menschen zusammen. So, und das, was gut ist, ist natürlich die Schulform. Also Stadtteilschulkollegen treten in der Regel für Bildungsgerechtigkeit zum Beispiel an. Das ist ja manchmal ein bisschen anstrengender, wenn alle so verschieden sind. Aber das ist schon ein großes Ad Hoc, sozusagen, bei den Kollegen. Da auch wirklich sich anzustrengen, das möglich zu machen, dass wir alle was miteinander zu tun haben. Was ja sehr interessant ist an deinem Job ist, du hast 130 Leute, die mit dir zusammenarbeiten, 130 Lehrkräfte, aber du kannst dir die gar nicht aussuchen. Naja, also man kann bis zu einem gewissen Grad einstellen. Das ist eine typische Hamburgensie. Das heißt, ich darf mir Menschen, also ich darf, wenn ich eine Stelle habe, kann ich die ausschreiben. Und wenn es unterschiedliche Bewerber gibt, kann ich denjenigen oder diejenige auch auswählen. Aber natürlich ist es so, dass in der Regel gibt es jetzt keinen. Also wenn der Mensch gehen möchte, dann kann man sich trennen. Aber ansonsten ist es so, dass ich natürlich meine Mitarbeiter entwickeln muss. Ich kann nicht das Team entwickeln, indem ich einzelnen Leuten sage, geh mal so. Das gibt es einfach nicht. Und das heißt, sozusagen der Schwerpunkt ist dann auf Personalentwicklung, einfach zu schauen, okay, nicht jeder ist ja glücklich mit den Schwerpunkten, die dann Schulleitung setzt. Und auch nicht jeder ist glücklich mit den Schwerpunkten, die ich setze. Und trotzdem werden wir die nächsten Jahre zusammen verbringen. Und auch jeder Kollege hat schon, also sozusagen im Rahmen unseres Leitbildes schon auch den Anspruch darauf, dass ich seine Arbeit schon auch unterstütze und eine gewisse Variabilität dann auch zulasse. Ich persönlich bin in dem Text von der brand eins tatsächlich, auch wenn wir schon über das Collegium reden, an einem Zitat von Ihnen hängen geblieben, was ich sehr interessant fand. Da gibt es ja jetzt mal frei wieder, dass man Spannungen nicht einfach wegdrücken kann, weil sie wie bei körperlichen Schmerzen auch irgendwann Folgen haben. Ich glaube, das kennt auch jede und jeder von uns. Also Spannungen gehören ja nun mal zum Berufsalltag irgendwie dazu. Wie gehst du denn mit diesen Situationen um? Naja, es ist einfach so, dass in der Akutsituation ist es halt so, dass dann manchmal nicht im Gespräch ist, sozusagen. Also in der brand eins ist ja diese kleine Szene erzählt gewesen mit dem Schüler, der sozusagen nicht in so einer öffentlichen Situation da ist. Also das war ganz am Anfang von den Auseinandersetzungen in Gaza und ich war überhaupt nicht positioniert. Und er hat mich da irgendwie gefragt: „Meinen Sie nicht auch, dass das ein Genozid ist?“ sozusagen. Und dann bin ich weiter mit ihm ins Gespräch gegangen, aber nicht darum, um ihn zu belehren, sondern zu gucken, woher kommt eigentlich meine Sprachlosigkeit, warum macht ihn das so wütend? Und am Ende machen wir ein Theaterprojekt daraus, sozusagen, wo es einfach um die Sprachlosigkeit geht, wenn wir an Punkte kommen, an denen wir Angst haben, jemanden zu verletzen oder sehr verletzt sind. Und das ist im Prinzip so ein Vorgehen. Also ich glaube grundsätzlich, dass wir alle als Menschen im Wesentlichen dieselben Bedürfnisse haben und dass manchmal die Strategien, mit denen wir da umgehen oder versuchen, die zu befriedigen, dass die einfach nicht in Konkurrenz zu bringen sind. Und in der Regel, wenn man es schafft, aus der heißen emotionalen Phase raus zu sein, dann gelingt es mir oft, dass wir uns auf dieser Bedürfnisebene treffen und vielleicht eine neue dritte Strategie ausdenken, wie zum Beispiel jetzt hier, okay, ich bleibe bei meiner Unsicherheit, die ich in dem Moment nicht auflösen konnte, ob das jetzt ein Genozid ist oder nicht, und drücke mich nicht drumherum, sondern gebe das zu und wir arbeiten uns da durch. Und das ist, glaube ich, das Thema. Auch wenn Kollegen nicht mit mir zufrieden sind und da Auseinandersetzungen sind, dann finde ich schon, dass es zum Beispiel auch die Aufgabe von Führung ist, nochmal ein Gesprächsangebot zu machen, wenn man sich nicht trennen kann. Und zu gucken, kriegen wir das hin? Klar, ich lasse an bestimmten Standards, also ich meine, ich würde jetzt nicht darüber diskutieren, sozusagen, ob man, keine Ahnung, wie auf dem Flur rumschreit oder sowas. Das kann passieren, ist menschlich, aber das ist sozusagen, da würde ich jetzt nicht sagen, okay, lass uns diskutieren, ob das laut oder leise ist, sozusagen, sondern dann geht es darum, okay, lass uns gucken, was für eine andere Reaktion ist möglich, wo können wir unterstützen, damit eine Situation, wo du vielleicht selbst nicht bei dir bist oder ich nicht bei mir bin, dann das nächste Mal nicht eskaliert. Also sowas. Auch für Schüler ist das wichtig, für Eltern ist das wichtig. Auch Eltern, die ärgerlich sind auf uns als Schule, haben in der Regel ein Bedürfnis, das man verstehen kann. Wie gesagt, die Strategie, wie das dann umgesetzt ist, da kann man Grenzen ziehen, die ziehe ich dann auch. Aber auch die Eltern können ja nicht einfach ihr Kind unter den Arm nehmen und gehen, weil sie uns zugeteilt sind. Und in so einer Zwangsveranstaltung ist es einfach auch die Handwerkstechnik, an bestimmten Stellen Freiheit wieder zu kreieren. Und ich glaube, das ist auch am Ende das, wie ich mit Bürokratie umgehe, weil ich sage, okay, am Ende haben wir dasselbe Ziel: Kinder sollen gut ausgebildet werden. Und manchmal kollidieren die Strategien, aber wir kriegen das hin, wenn wir uns was Gutes Drittes zusammen überdenken. Bianca Thies, Schulleiterin aus Hamburg, im Gespräch beim Podcast Radio detektor.fm. Und wir sprechen in dieser Episode noch weiter über Führung, auch über Haltung und auch über ihre eigene Biografie als Arbeiterkind. Bianca, du hast gerade die Freiräume auch angesprochen und da gibt es auch ein ganz spannendes Zitat, ich glaube eben auch aus dem brand eins Text, und da sagst du, dass man eigentlich genug Freiräume hat, man muss sie nur erkennen und den Mut haben, sie zu nutzen. Wie erkennst du denn diese Freiräume? Ich glaube, es ist tatsächlich am Ende so eine Haltung, dass ich immer denke, okay, wir leben ja eigentlich in einem Land, das sich schon ziemlich vieles gut eingerichtet hat und das muss doch gehen. Das ist eigentlich eher so eine Rätselnummer, dass es nicht alles Deppen waren, die sich das mal ausgedacht haben. Und wie gesagt, das eigentlich das Grundding ist, dass was immer gerne bei solchen Behörden geschrieben, überlesen wird, die Präambel. Und die Präambeln sind eigentlich immer total schön, sozusagen. Wir erziehen irgendwie Individuen, die verantwortungsbewusst in einer Demokratie selbstbestimmt ihren Weg gehen können. Und manchmal aus Arbeitsstress überblättern wir die so. Aber eigentlich ist alles, was danach kommt, dem untergeordnet. Und ich glaube an der Stelle, wenn mit so einem unerschütterlichen Glauben daran, dass es doch eigentlich ein gutes Ende haben müsste, sucht man die Und dann ist es so, dass grundsätzlich, das habe ich ja vorhin am Anfang schon gesagt, es gibt keinen Prozess, keine Beziehung zwischen Menschen, die durch Regeln komplett abgebildet werden kann. Und in diesen Unzulänglichkeiten steckt eben auch ganz viel Freiheit. Also zum Beispiel ein Punkt, wo Freiheit entsteht, ist, wenn ich nicht beides erfüllen kann. Also zum Beispiel Arbeitszeitverordnung, wie viel Konferenzzeit habe ich in einem Jahr, zu der ich alle Kollegen verpflichten darf. Und auf der anderen Seite, keine Ahnung, es müssen jetzt irgendwie ganz schnell für jedes Fach Curricula abgestimmt werden und so weiter. Und dann gibt es vielleicht noch was anderes, weil wir noch ganz viele andere Punkte haben, wie zum Beispiel Umgang mit herausfordernden Schülern und so weiter. Also viele Themen, die alle wichtig sind, die alle von der Behörde gesetzt sind, die man aber nicht schafft in der Zeit. Und dann gibt es Leute, die sich halt total darüber aufregen, sozusagen, dass das nicht schaffbar ist. Und das stimmt auch, das ist super belastend. Aber in nicht schaffbaren Anforderungen ist auch genau der Ort für Freiheit, weil keiner wird am Ende, also ich muss quasi, wenn ich etwas nicht alles gleichzeitig schaffen kann, dann muss ich mich für einen Ball entscheiden. Dadurch, dass ich mich dann aber auch entscheiden darf und man dann im Prinzip auch von Vorgesetzten, wenn man das gut begründen kann, also jedenfalls habe ich keine schlechten Erfahrungen mit meinen Vorgesetzten bisher gehabt, mit einer guten Begründung kommt man dann auch durch. Und da entsteht Freiheit. Also eigentlich manchmal in Überforderung. Ich habe es vorhin schon ganz kurz angesprochen, du hast fast schon eine klassische Arbeiterkind-Biografie. Ist diese persönliche Lebenserfahrung auch ein Stück weit Antrieb für dich? Das ist auf jeden Fall was, warum ich nicht so oft enttäuscht bin, weil ehrlich gesagt alles, was ich bin, bin ich durch staatliche Bildung geworden, die ohne Geld stattgefunden hat. Und das erfüllt mich mit einer Liebe zu dem System, die vielleicht manchmal auch über solche bürokratischen Irrsinns hinweg quasi tröstet. Also meine Eltern sind ganz toll, haben immer irgendwie quasi emotional für mich gesorgt, aber den Bildungsweg, den bin ich nur durch Schulen gegangen, sozusagen, und nach staatlichen Lehrplänen. Und es ist ein totales Privileg bis zur Uni. Also das war nicht immer einfach, aber es hat mich ganz schön weit gebracht. Also insofern ja, das hat auf jeden Fall was damit zu tun. Und diesen Punkt, dass Lernen eben Chancen ermöglicht, das ist natürlich total wichtig, weil also quasi meine Bildung ist mein größtes Kapital gewesen auf meinem ganzen Lebensweg bis hierher. Gibt es eigentlich auch mal Tage, man hört ja diesen, du hast es genannt, unerschütterlichen Glauben, den hört man, finde ich, sehr gut raus bei dir, aber gibt es auch Tage, wo du dir denkst, man, hätte ich mal einen anderen Beruf gewählt? Nein, tatsächlich nicht. Also ich bin mit Leib und Seele Lehrerin. Und Kinder und Jugendliche enttäuschen mich nie so lange, dass der ganze Tag dabei draufgeht. Und also ich finde das extrem ehrenhaft, als Staat in dieser Form Kindern und Jugendlichen gegenüber zu treten. Also für viele Kinder bin ich neben der keine Ahnung, Ausländerbehörde und der Polizei die einzigen Staatsbeamten, mit denen die so richtig Kontakt haben. Und ich finde, da kann man auch immer ein gutes Vorbild geben. Und es ist toll, dass wir kostenlose staatliche Bildung in Deutschland auf einem, finde ich, ganz gut anbietbaren Niveau. Und ich weiß, dass dann immer, also es gibt ja ganz viel, was man daran aussetzen kann, aber an sich ist es auch ein großes Privileg, da für Kinder und Jugendliche da sein zu dürfen und das zu organisieren jeden Tag. Und manchmal empfinde ich es schon als einfach große Ehre, dass zwischen 8:10 Uhr und 16 Uhr eigentlich ziemlich viele Menschen da an einem Ort verbunden sind. Also wenn ich noch die Eltern mitnehme, dann sind das jeden Tag 6.000 Menschen, die rein theoretisch ein Problem miteinander haben könnten. Und in Zeiten, wo die Gesellschaft so wahnsinnig polarisiert ist, finde ich es jeden Tag eigentlich wieder ein Wunder, dass wir das doch ganz gut hinkriegen. Also insofern, nein, ich fühle mich immer noch geehrt, dass ich diesen Job habe. Und ja, sonst würde ich ihn auch an den Nagel hängen, das weiß ich. Es gibt in dem brand eins Text noch ein sehr, sehr schönes Bild, wie ich persönlich finde. Da wird beschrieben, dass du häufig im Knien auf einer Matte arbeitest und wenn dann zum Beispiel ein Schüler in den Raum kommt, weil er zur Direktorin muss, dann schaut er zu dir hinunter. Und das ist kein Zufall. Ja, nö. Also erstens mal ist es viel gesünder, nicht am Tisch zu sitzen. Also sitzen ist das neue Rauchen und so weiter. Und der neue Zucker und so, ja genau. Und was auch immer, genau. Und ich arbeite einfach gerne auf dem Boden. Also angefangen hatte ich damit aus Gesundheitsgründen. Als ich Schulleiterin geworden bin, hat man mir schon nahegelegt, das doch gut zu überlegen, ob man das weitermacht. Also man hat ja in Hamburg so ein Findungsverfahren, sozusagen, wo man auch gefragt wird über Rollenklarheit. Und damals im Findungsverfahren habe ich schon gesagt, okay, ja, ich würde überlegen, ob ich mir die bunten Haare rauswachsen lasse. Also ich habe bunte Haare und die hatte ich auch in diesem Bewerbungsprozess, hatte ich da nicht nachgefärbt erst mal. Aber habe gesagt, auf den Bodenschreibtisch würde ich ungern verzichten. Und dann würde es schon so gesagt, naja, das sollten Sie sich vielleicht überlegen von wegen Würde des Amtes. Und ich habe dann auch die ersten drei Monate als Schulleiterin tatsächlich, also ich habe meine Haare erst mal nicht gefärbt und hatte auch einen normalen Schreibtisch und habe aber nach den ersten drei Monaten gedacht, das sind so viele Eindrücke, ich brauche ein bisschen Ausdruck. Habe dann auch die Haare wieder gefärbt und bin wieder auf den Boden umgezogen. Und ich finde, das ist der falsche Ort, formkonform zu sein. Also so, ich setze mich mit Gästen an einen Tisch. So, wenn jemand zu mir ins Büro kommt, der normal hoch ist. Aber ich finde, sozusagen, das ist so ein, also ja, in dem Ablauf und macht, gerade wenn man also als Schulleitung ist es einfach so, man hat ein extremes Machtgefälle und das muss nicht in allen Situationen sein. Also zumindest nicht in jedem Gespräch. Und sondern dann sich sozusagen die Amtswürde sozusagen an bestimmten Stellen auch tatsächlich zu wählen und nicht in jeder Situation Gott gegeben da zu inszenieren. Also ich mag das, aber es ist auch besser für den Rücken. Wenn das, also die Amtswürde nicht ausmacht, was ist denn aus deiner Sicht die Amtswürde einer Schulleiterin oder was ist für dich persönlich die Amtswürde? Also für mich ist es das, dieses Geschenk von staatlicher Bildung, was am Ende einfach ein Geschenk ist, wenn man sich die Geschichte der Menschheit anschaut. Ja, also klar, es gibt Bildungsungerechtigkeit und alles, aber an sich ist es trotzdem überhaupt möglich. So, und ich kann in eine Schule reingehen, mein Kind ist egal, wer ich als Eltern bin, wie viel ich verdiene, sozusagen kann das dort Menschen treffen, die dafür angestellt werden, dem Kind was beizubringen. Und daraus entwickelt sich die Würde. Die Würde ist sozusagen dieses Geschenk einer Gesellschaft an Schüler, sozusagen, okay, wir geben dir eine Chance, sozusagen, was weiterzuentwickeln. Und ja, da passiert ganz viel Mist, sozusagen, und es gibt Kinder und Eltern, die unter Schule leiden. Es gibt auch Kollegen, die unter Schule leiden, so. Aber die Grundidee, die ist gut. Und ich glaube, wenn man das immer wieder so hat, daher kommt die Würde. Also die Würde kommt eigentlich daher, dass wir Bildung als Geschenk präsentieren können. Und wenn wir das schaffen und danach suchen, dann findet man auch genau diese Freiräume, die es dafür braucht. Das sagt Bianca Thies, Schulleiterin an der Stadtteilschule Helmut Hübener in Hamburg-Barnbeck im Gespräch beim brand eins Podcast und offensichtlich ausgestattet mit dem unerschütterlichen Glauben an das Bildungssystem. Ich sage vielen Dank für das Gespräch. Gerne. Ein schönes Beispiel dafür, dass man eine Schule eben auch anders leiten kann. Es klingt auf jeden Fall so, als ob die jungen Leute da an der Stadtteilschule gute Lernbedingungen haben oder ziemlich gute Lernbedingungen auf jeden Fall. Ich hoffe, ihr lernt auch hier im Podcast immer mal wieder was oder bekommt zumindest Denkanstöße oder Inspirationen. Mir persönlich geht es jedenfalls so bei solchen Gesprächen wie heute. Und das Schöne ist, hier müsst ihr nicht jeden Tag 7:45 Uhr oder 8:10 Uhr auf der Matte stehen. Es reicht, wenn ihr einmal pro Woche ab Freitag aufmerksam seid und die neuste Episode auf euer Telefon ladet oder sie dann auch direkt gleich anhört. Noch mehr Leute bekommen übrigens davon mit, wenn ihr uns fünf Sterne bei Apple Podcasts oder Spotify gebt oder den Podcast einer Freundin oder einem Freund weiterempfehlt. Dann wird hier unsere Klasse sozusagen noch ein bisschen größer und vielfältiger. Und das würde mich wiederum ein bisschen freuen. In der nächsten Stunde geht es dann nochmal um das Thema Führung. Mehr dann nächste Woche am Freitag. Gut aufgepasst. In diesem Sinne gern bis dahin. Tschüss. Der brand eins Podcast: Wirtschaft anders denken. Jede Woche bei detektor.fm. Der brand eins Podcast wird produziert vom Podcastradio detektor.fm. Redaktion: Stefan Ziegert, Katja Stamm und Gerolf Mayer. In Zusammenarbeit mit Frank Dahlmann vom brand eins Magazin. Moderation: Christian Bollert.