Wirtschaft anders denken, das ist ja unser Anspruch hier im Brand1 Podcast. Seit fast zehn Jahren gucken wir aus ganz verschiedenen und für euch hoffentlich spannenden Perspektiven auf Wirtschaft und uns Menschen darin. Dieser Podcast ist dabei ein Gemeinschaftsprodukt der Brand1 Redaktion in Hamburg und des Podcast Radios detektor.fm in Leipzig. Ich bin Christian Bollert von detektor.fm und habe die Ehre, euch auch in dieser Ausgabe hier begrüßen zu dürfen. Der Brand1 Podcast: Wirtschaft anders denken. Jede Woche bei detektor.fm. In diesem Monat geht es in der Brand1 um Führung. Und wir haben hier im Podcast ja auch schon über Führung am Theater oder auch in der Schule gesprochen. Und in der heutigen Episode sind wir fast schon klassisch unterwegs. Denn mit Führung verbinden viele ja auch Hierarchien und Organisationen, die solche Hierarchien haben. Das Paradebeispiel für eine solche hierarchische Organisation ist sicher das Militär, in Deutschland also die Bundeswehr. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sie ja gesamtgesellschaftlich auch eine ganz andere Aufmerksamkeit mittlerweile. Und das nicht nur wegen der laufenden Debatte über die Wehrpflicht zwischen CDU und SPD in der Regierung und im Bundestag gerade. Wir haben uns hier in der Redaktion übrigens deswegen auch gefragt: Wie sieht eigentlich in einer solch traditionellen Organisation zeitgemäße Führung aus? Und genau darum geht es heute. Tanja Merkel hat in der Bundeswehr gleich an mehreren Stellen Führungserfahrung gesammelt. Sie ist auf der bekannten Gorch Fock als Marineoffizierin ausgebildet worden, hat an der Universität der Bundeswehr Pädagogik studiert, ist Kommandantin verschiedener Boote der Marine gewesen und als Stabsoffizierin im Bundesamt in Köln für das Personalmanagement der Bundeswehr tätig. Umso mehr freue ich mich, dass sie sich in ihrer Elternzeit die Zeit für unseren Podcast hier nimmt. Ich erreiche sie in der Nähe von Eckernförde in Schleswig-Holstein und sage: Hallo und herzlich Willkommen im Brand1 Podcast, Frau Merkel. Ja, vielen Dank, dass ich noch dabei sein darf. Hallo! Beim Thema Führung und Bundeswehr denken sicher viele unserer Hörerinnen und Hörer an den soldatischen Kasernenton, an Liegestütze im Hof und vielleicht auch an die Stubenkontrolle. Stimmt dieses Bild im Jahr 2025 überhaupt noch? Wenn ich an Führung denke, dann denke ich natürlich an unsere Hierarchien. Ich denke an Kaserne, ich denke aber auch an unsere starken Gemeinschaften, an das Leben in der militärischen Gemeinschaft, an Hierarchien, die ich als sehr positiv empfinde, und an die Werteorientierung, die wir haben. Warum empfinden Sie die Hierarchien denn als positiv? Weil es bedeutet, dass jeder Verantwortung trägt. Dass es ganz viele Hierarchieebenen gibt und die machen nicht unbedingt langsam, sondern auch der Mannschaftsdienstgrad an Bord eines Schiffes, der gehört einer Hierarchie an und weiß, er trägt damit auch ein Stück Verantwortung. Er hat einen Dienstgrad, er findet sich ein in der Gemeinschaft, im Gefüge und weiß auch, was er zu verantworten hat an dieser Stelle im System. Das heißt, es ist auch eine Effizienzfrage. Ja, unter anderem. Aber es ist natürlich auch zu wissen, man ist ein wichtiges Puzzleteil. Und nicht der Vorgesetzte trägt allein Verantwortung, sondern man ist Teil eines großen Ganzen. Und jeder trägt zur Sicherheit und zur Landesverteidigung und eben zu den wichtigen Aufträgen der Auftragsverführung bei. Jetzt haben Sie ja persönlich an ganz vielen verschiedenen Stellen innerhalb der Bundeswehr Führungserfahrungen sammeln dürfen. Was ist denn so aus Ihrer Sicht beim Thema Führung wichtig? Die Nähe zu den Menschen. Wenn ich Entscheidungen treffe, dann war das an Bord so, dass ich natürlich ganz vorne alles erlebe. Ich treffe Entscheidungen und sehe unmittelbar die Konsequenzen meines Handelns. Und das wünsche ich mir auch insgesamt für Unternehmen und Führungskräfte, dass sie sehen, dass das Auswirkungen hat, was sie entscheiden. Und an Bord war das immer sehr leicht. Denn wenn man sagt: Backbord 10, dann bewegt sich eben das Schiff. Und dann hat man entweder eine richtige Entscheidung getroffen oder muss korrigieren. Und alle können das sehen. Und ja, das ist wichtig, weil man dann eben auch Fehler schnell selbst eingestehen muss, weil man selbst sieht, was passiert denn mit meiner Entscheidung. Und weil man auch dann daran wächst, auch mal eine Fehlentscheidung zu treffen. Das finde ich sehr, sehr interessant und natürlich ein spannendes Bild. Denn ich sage mal, als Unternehmenschefin oder als Unternehmenschef sehe ich meistens nicht sofort, ob mein Schiff nach rechts oder links fährt. Das ist dann ein Vorteil, den Sie haben. Der Vorteil ist auch, dass man sieht, wie es den Menschen geht. Also ich sage ja immer oder das allgemein auch in der Bundeswehr: Ein Motto: Nicht Schiffe kämpfen, sondern Menschen. Und diese Nähe zu den Menschen und gleichzeitig die militärische Distanz, die man natürlich wagt. Man entscheidet nicht das, was gut für die Menschen ist, sondern wovon man überzeugt ist, was quasi ihnen hilft. Also man geht nicht nach dem Willen der Leute. Die würden natürlich nach einem anstrengenden Manöver nie sagen: Gerne wollen wir das Schiff noch aufräumen, rein Schiff machen und alles aufklaren. Sondern die würden sagen: Lassen wir das mal lieber stehen. Aber jeder möchte nach einem entspannten Wochenende zu Hause natürlich wieder in ein sauberes Boot zurückkommen. Und es ist dann ganz wichtig zu sagen: Wir müssen jetzt hier nochmal ran, weil wir eben für die Menschen entscheiden, aber nicht immer deren Willen folgen. Es gibt ja auch mittlerweile und eigentlich schon seit vielen Jahren ganz viele Seminare und auch Coachings, die ich sage mal so ein bisschen mit dem Transfer von Führung auch werben. Sie haben es auch so ein bisschen angesprochen. Also da gibt es Fußballtrainer, die Topmanagerinnen und Topmanager von ihren Erfahrungen berichten, Pferdetrainer, die dann irgendwie Menschen zeigen, wie man mit Körpersprache Tiere führt und was man da irgendwie von lernen kann und vieles, vieles mehr. Gibt es denn Aspekte Ihrer Arbeit oder Ihrer Führungserfahrung, besser gesagt, bei denen Sie denken, das sollten wirklich noch mehr Leute wissen oder vielleicht, das könnte auch wirklich anderen Menschen helfen? Ja, ganz viel. Also ich sehe auch die militärische Gemeinschaft, die Werte, die wir teilen, die soldatischen Tugenden, die zeitlos sind: die Kameradschaft, Zusammenhalt, Loyalität, Disziplin. Das sind Dinge, die wir überall in unserer Gesellschaft und in anderen Unternehmen gebrauchen können. Und wenn Unternehmen sich so ein bisschen mehr als Besatzung sehen, als Team, was quasi einen Kurs nur fahren kann, aber im Boot doch ganz, ganz viele Tätigkeiten und Dinge erledigt werden müssen, ich denke, dann würde es nicht nur Unternehmen besser gehen, sondern auch unserer ganzen Gesellschaft. Also gerade diese Werteorientierung, die wir in der Bundeswehr durch unsere innere Führung, unser Führungskonzept, unsere Führungskultur erleben, leben, vorleben, das hilft uns ganz sehr, dass wir Führung jeden Tag aktiv gestalten. Das heißt, um mal bei diesem Bild zu bleiben, was Sie gerade aufgemacht haben, dass alle in einem Boot sitzen. Ich glaube, in der aktuellen wirtschaftlichen Situation ist das in vielen Unternehmen so, dass man irgendwie merkt: Ui, es ist ganz schön turbulent da draußen. Wir sitzen vielleicht wirklich alle in einem Boot. Wie kriegt man es denn hin, dass dann alle in die eine Richtung rudern oder fahren? Dass wir von Anfang an Verantwortung noch ganz weit unten geben. Das heißt nicht, dass der Kommandant eines Schiffes quasi sagt: Ihr wart doch schuld an etwas. Nee, es ist anders gedacht, dass wir ganz jungen Menschen vertrauen. Dass wir, wenn der Schulabgänger in die Bundeswehr einsteigt und sagt: Ich bin noch mal Grundausbildung und nach ersten Lehrgängen kommt er an Bord und übernimmt zum Beispiel den Dienstposten am SONAR, dann ist er derjenige, der 90 Sekunden Zeit hat, den möglichen Kontakt als Mine zu klassifizieren oder das eben nicht macht. Also er bekommt Verantwortung, genau wie der, der auch am Ruder sitzt, also am Lenkrad einer militärischen Einheit auf See. Und wir geben Verantwortung nach ganz unten und geben aber ganz viele Möglichkeiten, wenn doch Fehler passieren, dass es entsprechend abgesichert ist. Aber wichtig ist eben, dort ganz, ganz viel Vertrauen zu geben und nicht überall einzugreifen, sondern wir sagen dann dazu, den Schritt hinter die Seekarte zu wagen. Und lässt sich das auch übersetzen für Unternehmen? Ja, dass Mikromanagement, zu starkes Controlling, zu starke auch Zweifel, kriegen die anderen das hin, nicht förderlich sind. In See sagt man ganz oft: Der Kommandant, die Kommandantin, es muss die Person sein, die, wenn es drumherum kracht und Dinge passieren, ganz in Ruhe noch eine Kaffeetasse in der Hand hält und Ruhe ausstrahlt. Das ist mir auch nicht immer gelungen, aber ich musste mir dieses Bild auch ständig natürlich neu sagen und vornehmen. Und man wächst natürlich auch mit seinen Aufgaben. Wir sehen, dass Belastung belastbar macht, im positiven Sinne, weil wir natürlich 24 Stunden oft sieben Tage die Woche unterwegs sind, über mehrere Monate teilweise auf engstem Raum leben, auch Risiken bewusst eingehen müssen. Und ohne Vertrauen klappt das nicht. Finde ich ein interessantes Bild, das mit der Kaffeetasse. Kann ich übrigens als Anekdote bestätigen aus, ich sage mal, den besonders professionellen Nachrichtenredaktionen, die ich so kenne, also zum Beispiel dpa in Berlin oder New York Times oder sonst wer. Da ist es todesstill in den Newsrooms. Also da ist keine Panik, sondern da ist absolute Konzentration und die Leute arbeiten einfach konzentriert. Ja, bei uns passiert das mit sogenannten Rollen. Man schlüpft dann in eine Gefechtsrolle oder in eine Schadensabwehrrolle. Also wir haben Klingelsignale an Bord oder es gibt gewisse Durchsagen und die Menschen schlüpfen in eine ganz bestimmte neue Haltung. Also dann sind sie quasi nicht mehr die Soldaten, die von A nach B fahren. Der Smut, also unser Schiffskoch, der kocht dann nicht mehr, sondern wird zum Sanitäter. Dann wird der Navigationsgast, der sonst an der Seekarte arbeitet, vielleicht jemand, der am Kletterrettungsnetz stehen muss, um eine Person, die außenbords gefallen ist, zurückzuholen an Bord und dabei zu unterstützen. Also wir schlüpfen ganz häufig in verschiedene Rollen und das hilft uns dabei auch ganz sehr zu verstehen, wie es den anderen geht. Also ganz heutige Perspektivwechsel. Und der Kommandant ist eben nicht nur Kommandant, sondern der hat zum Beispiel ganz, ganz, ganz viele Rollen durchlebt und ganz viele Perspektivwechsel erlebt, damit er überhaupt in diese Rolle Kommandant auf diesen Dienstposten gesetzt werden kann. Stabsoffizierin Tanja Merkel, Überführung bei der Bundeswehr, hier im Gespräch beim Podcast Radio detektor.fm. Und wir sprechen noch weiter über ihre Perspektive auf Führung und über das gerade von ihr angesprochene Rollensystem. Frau Merkel, Sie haben es gerade erwähnt: Sie nutzen auch Rollen und rollenbasiertes Arbeiten ist ja auch in den letzten Jahren in vielen Unternehmen irgendwie ein großes Thema gewesen. Was ich immer mal wieder mitbekomme, ist, dass Teams das dann nicht bis ganz zum Ende durchhalten und dass sie irgendwie auf dem Weg dahin irgendwie absterben und dann nicht ganz klar ist, welche Rolle habe ich jetzt eigentlich als Teammitglied und so. Wie machen Sie das denn? Wir haben das wirklich auch im Rollenplan festgelegt: Wann steht wer wo? Und wir üben das. Natürlich gibt es das drillmäßige Üben, das geht auch nicht anders, weil natürlich häufige Personalwechsel auch dazu führen, dass nicht jeder die nächsten zehn Jahre seine Rollen kennt. Aber ja, es ist das tägliche Miteinander. Man muss sich vorstellen, so eine militärische Einheit fährt eben 24 Stunden häufig sieben Tage die Woche zur See, ist wahnsinnig viel unterwegs. Und man hat Zeit, sich da auch gut kennenzulernen und Dinge einzuüben. Und es wird auch sehr viel vorbesprochen. Das bedeutet, wir werfen zwar unsere jungen Menschen häufig ins kalte Wasser, aber sie springen nicht alleine, sondern wir machen ganz viel gemeinsam. Und es gibt auch immer einen Ansprechpartner an Bord. Da hilft uns nicht nur die Hierarchie, sondern eben auch die Kameradschaft, die dann dazu verhilft, dass man immer jemanden hat, den man mal fragen kann, wenn man was nicht weiß. Und das ist auch total gut, Dinge nicht zu wissen. Es passiert nämlich total oft. Das ist unser Prinzip auch, dass Dinge gemacht werden müssen, die man eben noch nicht so gut kann. Nur so schaffen wir es, Menschen sehr, sehr früh in diese Führungsverantwortung zu bringen, weil man aus Fehlern am schnellsten und am besten lernt. Und wir fordern es quasi heraus, Fehler zu machen. Was wäre denn dann Ihr Tipp für ein Unternehmen? Sagen wir mal, die haben versucht, die Rollen einzuführen, aber irgendwie haben sie es nicht so richtig durchgezogen. Die können ja jetzt nicht 24 Stunden auf See fahren. Das stimmt. Ich glaube, dass es wichtig ist, klare Zielabsprachen zu tätigen mit den Menschen, häufig in Personalgesprächen zu gehen oder wirklich auch, dass man vor Ort führt, sagen wir. Und auch, dass man in der Lage lebt. Leben in der Lage ist auch ein Punkt. Ich muss mich eben dann neu drauf einlassen, wenn eben doch Personalwechsel stattfinden, wenn ein neuer Chef kommt, wenn sich Dinge ändern, jemand geht in Elternzeit, in Teilzeit oder wie auch immer. Dann ist es so, dass man eben die Lage neu bewerten muss. Und das üben wir auch ständig bei der Bundeswehr, die Lage neu zu bewerten und neu zu entscheiden. Und ich denke, mit immer einem frischen Blick auf die Dinge, dann sterben die Dinge auch nicht so schnell ab. Ich habe es am Anfang ja auch schon kurz erwähnt: Sie sind aktuell selbst in Elternzeit und davor sind Sie im Personalmanagement der Bundeswehr für Personalgewinnung zuständig gewesen. Momentan und gerade ja auch in dieser Woche ist ja viel über die Wehrpflicht diskutiert worden. Wie blicken Sie denn auf diese Debatte? Dass wir als Land mit 80 Millionen Einwohnern in etwa wissen müssen, wie wichtig intakte Streitkräfte sind. Ich wünsche mir, dass wir natürlich einerseits freiwillig sagen: Na, klar gehe ich zur Bundeswehr. Ich sehe aber auch die Rahmenbedingungen, die uns vorliegen. Und ich sehe auch, dass damals, als der Angriffskrieg losging, es nicht zu automatischen Mehrbewerbungen bei der Bundeswehr führte. Und aus meiner Perspektive erleben wir einen Rückgang in Bezug auf das Wissen über Streitkräfte in unserer Gesellschaft. Wir erleben es, dass man auch trotz vieler YouTube-Videos und einem Crossmedia-Mix eben an der Bundeswehr vorbei denken und vorbei leben kann. Und es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft verstehen, welchen Wert wir haben. Und dass Frieden und Freiheit nur gesichert werden kann, wenn Streitkräfte ausreichend Personal besitzen. Und es ist zwingend notwendig, Personallücken zu schließen, weil jede Personallücke im Grunde eine Sicherheitslücke ist. Und Sicherheitslücken in der jetzigen Zeit, die können wir uns nicht erlauben. Und ich möchte meinen Kindern später sagen: Ich habe alles getan. Ich habe ganz viel dafür getan, dass es nicht so weit kommt, dass ihr mich fragen müsst: Mama, warum hast du es nicht verhindert, als ihr damals die Gelegenheit hattet, Frieden zu bewahren? Warum habt ihr da nicht alles gegeben? Und aus meiner Sicht agieren wir gerade sehenden Auges so, dass wir uns auf Hoffnung setzen. Und das geht nicht. Wir können nicht auf Hoffnung setzen und sagen: Das wird schon klappen und wir werden in Frieden bleiben. Das kann nicht die Lösung sein. Das heißt, die gestiegene Aufmerksamkeit für die Bundeswehr, die ja definitiv in den letzten Jahren da war, also nicht nur für die Bundeswehr, auch überhaupt, muss man sagen, für das Thema Verteidigung, die hat nicht dazu geführt, dass es auch mehr Bewerberinnen und Bewerber gibt bei Ihnen. Weil es ganz schnittige Rahmenbedingungen sind. Wir haben jedes Jahr weniger auf dem Arbeitnehmermarkt an Menschen, die überhaupt uns zur Verfügung stehen. Wir brauchen weiterhin die deutsche Staatsbürgerschaft, um als Soldaten, als Soldat dienen zu dürfen. Wir sind an verschiedene Dinge gekoppelt und auch die zivile Wirtschaft sucht händeringend nach Personal in gewissen Bereichen. Also gerade die MINT-Berufe sind so eine Sparte, so ein Bereich, wo es uns relativ schwerfällt, das richtige Personal zu gewinnen. Und ja, wir konkurrieren mit dem zivilen Markt. Und für die Jugendlichen, also für die jungen Erwachsenen, für die zählt auch oft Regionalität. Für die zählt häufig auch Flexibilität, guter Handyempfang und diese hohe Belastung, deren dann ja unter anderem ausgesetzt ist, das sehen die am Anfang noch nicht so als Vorteil. Und deshalb setzt die Bundeswehr aktuell vor allem auf Berufsorientierung. Das ist ein Punkt. Also die Berufsorientierung kann es schaffen, dass natürlich mehr Personal gewonnen wird. Aber wir sind an einem Punkt in unserer Gesellschaft, wo eben häufig verkannt wird, was wir alles zu bieten haben. Also über 1.000 Berufsbilder und dass wir ohne eine gut ausgestattete Bundeswehr nicht Frieden und Freiheit so einfach wahren können. Das heißt, aktuell finden Sie neue Leute vor allen Dingen mit den Angeboten berufsbegleitend. Ich kann was studieren beispielsweise und mache dann zehn Jahre und verpflichte mich und so. Das ist so der Hauptweg im Moment, Leute zu finden. Nee, zum Beispiel durch unsere Truppenbesuchszentren. Das ist ein Weg, um Menschen für die Bundeswehr zu interessieren. Auch, dass wir auf vielen Messen unterwegs sind und dann auch Praktika und ja, Truppenbesucher anbieten, Tage der offenen Tür und wirklich Events, wo man sagt: Komm rein, schau dir die Bundeswehr von innen an, Gespräch mit Soldaten, lernen wirklich am Dienstposten das ein oder andere Berufsbild kennen. Und das ist natürlich toll, weil Sie dann auch die Menschen mit oder die jungen Leute mit Gedienten direkt in Kontakt kommen können und eben von erster Hand die Erfahrung bekommen. Gleichwohl haben wir über 500 Karriereberatende in der Bundeswehr, die natürlich aber auch über ganz, ganz viele facettenreiche Berufsbilder informieren. Was hat Sie denn persönlich damals überzeugt, zur Bundeswehr zu gehen? Dankenswerterweise gab es da ja noch keinen russischen Angriff auf die Ukraine. Ich bin seit 2005 Soldatin und ich wollte damals schnell Verantwortung übernehmen. Ich fand es toll. Ich habe eine Schwester, die ist damals im Bundesgrenzschutz, heute Bundespolizei. Ich hatte eine Schwester, die diente im Heer als Sanitäterin und ich hatte einen Vater, der diente in der Volksmarine. Also für mich war es dieser familiäre Bezug zum einen und die positiven Erlebnisse. Der Begriff der Kameradschaft, der Zusammenhalt, und das war auch das, was ich dann auf der Gorch Fock zum Beispiel ja selbst erleben durfte, relativ am Anfang meiner Karriere und was mich auch heute immer noch begeistert. Also wenn man in der Bundeswehr ist, dann mag es Personalmangel und dann mag es auch Materialmangel häufig geben, aber was bleibt, ist eben der Zusammenhalt, die Kameradschaft und dass man auch gemeinsam diese Dinge übersteht, das Beste daraus macht in der Lage lebt und danach auch stolz, zu Recht stolz ist, was man geschafft hat zusammen. Das klingt ja auch so, als ob Sie wirklich sagen würden, beispielsweise Ihre Kinder sollen ruhig auch zur Bundeswehr gehen und eine Wehrpflicht ist eigentlich eine gute Sache. Ja, die Wehrpflicht ist aus meiner Sicht eine sehr gute Sache. Vor allem bekommt man alle Teile der Gesellschaft an die Bundeswehr gebunden und jeder muss sich damit ein Stück weit auseinandersetzen. Und auch meinen Kindern würde ich es empfehlen. Die sind jetzt noch zu jung, aber ich bin davon überzeugt, dass sie quasi auch später, wenn sie das entsprechende Alter haben, gerne ein Praktikum machen können und bei Mama das eine oder andere Mal mitgehen können, weil ich bin ja als Berufssoldatin noch die nächsten 20 Jahre mindestens beschäftigt. Und ja, bin stolz auf das, was ich mache und bin überzeugt davon, dass das, was wir tun, meine Kameradinnen und Kameraden und auch unsere zivilen Mitarbeitenden, dass das unglaublich wichtig ist, dass es erfüllend ist. Und ich habe in der Bundeswehr quasi auch meine Berufung gefunden. Ich bin total zufrieden damit und ich freue mich auch jetzt schon, nach der Elternzeit wieder starten zu können und wieder meinen Platz als Puzzleteilchen im großen Puzzle für Sicherheit einnehmen zu dürfen. Stabsoffizierin Tanja Merkel im Brand1 Podcast und wir sprechen in wenigen Augenblicken weiter und auch über sehr konkrete Situationen, wo vielleicht auch ungewöhnliche Führung notwendig war. Frau Merkel, Sie sind als Kommandantin zur See gefahren und während die allermeisten von uns, vor allem von denen, die hier zuhören, vermutlich in dieser Zeit so die Vorzüge und möglicherweise auch die Nachteile des Homeoffice kennengelernt haben, hatten Sie Landgangsverbot. Sie waren also auf diesem Schiff gefangen. Ich nehme mal an, das ist eine besondere Herausforderung für Führung gewesen. Ja, auf jeden Fall. Also wir waren mitten in der Zeit der Pandemie und wir mussten unsere Einsatzbereitschaft garantieren, also auf jeden Fall sicherstellen. Wir waren in der Zeit der Corona-Pandemie unter anderem Teil der Standing NATO Mine Counter Measure Group. Das bedeutet, wir waren im ständigen Seeminen-Abwehrverband der NATO und kamen auch, bevor wir in diesen Einsatz einstiegen oder diese einsatzgleiche Verpflichtung, noch mal in ein Quarantänehotel und hatten dann wirklich 100 Tage am Stück, wo wir unsere Familie nicht in den Arm nehmen konnten, wo wir auch an den Wochenenden teilweise nicht mal für uns selbst noch mal einen Landgang hatten, sondern das war ganz, ganz sehr reglementiert. Und auf dem 54 Meter langen Boot waren 45 Menschen. Und das Schöne ist, was mir zeigt, dass die Führung dort funktioniert hat, nicht immer durch mich, sondern durch die Besatzung. Also jeder hat dort Verantwortung getragen, dass am Ende vier gesagt haben: Ich möchte den Offizieranwärter einreichen, möchte mich weiter verpflichten. Und ja, wir sind da wirklich gestärkt, jeder persönlich auch gestärkt aus dieser einsatzgleichen Verpflichtung rausgegangen. Trotz der Enge, trotz der Entbehrungen, trotz der Zurücknahme der eigenen Person waren das Erlebnisse, die natürlich ja auch resilient machen. Und mir hilft diese Zeit heute zu sagen: Okay, also gerade was jetzt in der Personalgewinnung oder in vielen anderen Dingen, die kommen können, passiert. Ich habe schon andere Dinge erlebt, gewisse Risiken häufig eingegangen, die man eingehen muss in so einer Situation an Bord. Ich habe Entbehrungen hingenommen. Was auch passiert? Ich denke, ich komme besser damit zurecht, weil ich diese Erfahrung machen konnte. Was waren denn das für Entbehrungen? Ja, meine Tochter war damals noch sehr klein, vier, fünf Jahre alt, und die 100 Tage am Stück nicht in den Arm nehmen zu können, zu Geburtstagen, zu Familienfeiern nicht vor Ort sein zu können. Auch zu sehen, wie Besatzungsangehörige vielleicht wichtige Termine mit der Familie verpassen und wie Besatzungsangehörige auch den ein oder anderen Schicksalsschlag hinnehmen müssen. Das sind Dinge, die müssen sie schon verarbeiten. Und auf der anderen Seite zehren sie davon. Selbst nach meiner Dienstzeit weiß ich genau, dass diese Fähigkeiten und diese Werte, die ich gewonnen habe, die bleiben nicht am Kasernentor hängen, sondern die werde ich mitnehmen. Die werde ich mein ganzes Leben lang behalten können. Die werde ich in Ehrenämter integrieren können. Ich versuche mich da quasi auch an anderen Bereichen für die Gesellschaft einzubringen. Und das glaube ich ist ein Wert der Bundeswehr, der einem mitgegeben wird, den wir auf unserer Agenda der Attraktivität nicht immer so nach vorne bringen, der aber ganz, sehr wichtig ist. Das ist das Miteinander und eben auch wie man als Person wachsen kann. In der Vorbereitung auf unser Gespräch hier haben Sie meinem Kollegen erzählt, dass Ihnen die Zukunft der Arbeit und die Werteorientierung im Herzen liegt. Das sind ja auch klassische Themen, die wir hier im Brand1 Podcast und auch in der Brand1 allgemein behandeln. Was genau meinen Sie denn da? Ja, ich glaube, die Werteorientierung, die wir uns in der Bundeswehr quasi auf die Fahne schreiben, unsere Tugend in die Kameradschaft, der Zusammenhalt und auch die Anerkennung der Leistungen der anderen. Ein Kommandant ist nichts ohne seine Besatzung. Jeder an Bord kann verantwortlich sein, eine Havarie auszulösen, und alle müssen daran interessiert sein. Diese zu verhindern. Jedes Element ist wichtig, egal wie niedrig der Dienstgrad ist, ob männlich oder weiblich, oder welche Glaubensrichtung auch immer. Es ist wichtig, dass man da ist, und es ist wichtig, dass man Kameradschaft lebt. Und diese Kameradschaft, die wünsche ich mir so sehr für unsere Gesellschaft. Kameradschaft heißt, dem die Hand zu reichen, den man gar nicht mag. Dort, wo Sympathie endet, dort geht Kameradschaft im Grunde erst los. Und wenn wir alle ein bisschen mehr Kameradschaft leben würden, dann wäre unsere Gesellschaft eine bessere. Jetzt hat ja die Bundeswehr, und sie haben natürlich jetzt viele Beispiele genannt, wo es irgendwie auf Zusammenhalt und Entbehrung hinausläuft. Aber es gibt natürlich einen Aspekt, über den wir heute noch gar nicht gesprochen haben, oder jedenfalls nicht direkt. Das Thema Tod und Sterben im Kampf beispielsweise. Wie bereiten Sie sich denn darauf vor als Führungskraft? Gibt es dafür irgendwie Schulungen, und was ist da Ihr Umgang? Ich hatte selbst das Glück, dass an Bord bei mir niemand so stark versehrt wurde, dass ich mich mit Tod und dergleichen stark auseinandersetzen musste. Keine Seemeile ist allerdings ohne Risiko. Es gibt Verletzungen an Bord, es gibt Unfälle. Das passiert, wenn man sehr, sehr viel unterwegs ist und wenn man auch, sage ich mal, im Wind und Wetter ausgesetzt ist. Und man versucht immer, durch Gespräche das Personal zu motivieren. Das ist das, was ich so mitgenommen habe. Auch wenn Soldaten nicht selbst betroffen sind, sondern Familienangehörige versterben, dass man dort quasi immer auch die Kameradschaft leben lässt und füreinander da ist. Vorhin haben wir über Führungsaspekte gesprochen, die auch beispielsweise für Unternehmen hilfreich sein können. Gibt es denn auch Dinge, wo Sie sagen: Naja, das ist wirklich was Militärspezifisches, das kann eigentlich sonst niemand gebrauchen? Unsere außergewöhnliche Befehls- und Meldesprache und diese sehr kurze Sprache und dieses schnelle Umschalten, das mag vielleicht nicht so ganz einfach auf ein ziviles Unternehmen übertragbar sein. Aber was ich immer an Bord erlebe, was ich mir übertragen wünsche, ist, dass wir in so einer Kampfgemeinschaft vom studierten Stabsoffizier bis hin zu jemandem, der gerade frisch von der Schule gekommen ist, ganz viele Milieus und Gesellschaftsteile abbilden und miteinander zurechtkommen, weil es uns um die Sache geht. Uns geht es um den Auftrag, um das Miteinander, um das Leben der Innenführung, um die guten Dinge. Und daran halte ich auch immer fest, dass das das Wichtigste ist, was wir überall gebrauchen können: uns gemeinsam für das einzusetzen. Gibt es denn auch irgendwie No-Gos, wo Sie sagen: Nee, das geht wirklich entweder gar nicht mehr oder das ging eigentlich noch nie in Sachen Führung? Ich finde, wir können im Bereich Frauenanteil in der Bundeswehr noch wachsen. Das ist eine Sache. Ich glaube wirklich, dass gute Teams ja da Frauen einen nicht ganz kleinen Anteil einfach dazu gehören. Ich bin nicht für eine Überförderung von Frauen, aber ich finde, da gibt es noch deutliches Potenzial in der Bundeswehr, aber auch in unserer Gesellschaft, diesen Blick zu entwickeln, dass aus den tausend Berufsbildern, die es in der Bundeswehr gibt, da doch viele dabei sind, wo wir ganz dringend mehr Frauen brauchen und die insgesamt der Bundeswehr gut tun würden. Sagt Stabsoffizierin Tanja Merkel beim Podcast Radio detektor.fm. Ich sage vielen Dank für das Gespräch, und mich würde natürlich interessieren, wie Sie sich an Bord verabschieden würden, wenn wir uns jetzt trennen. Ich wünsche Ihnen immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Wunderbar, dann Dankeschön. Führung kann ziemlich viele Formen annehmen, haben wir gelernt. Und drei verschiedene Aspekte davon habt ihr in den letzten drei Episoden dieses Podcasts hier gehört. Und solltet ihr diesen Podcast jetzt gerade zum allerersten Mal hören und beispielsweise gerade bei YouTube entdeckt haben, dann nehmt doch gern dort auch die Verfolgung auf. Denn ich bin mir sicher, und wir arbeiten hier jeden Tag jedenfalls dafür, dass auch in den kommenden Episoden immer wieder spannende und inspirierende Aspekte für euch mit dabei sind. Solltet ihr uns und mich schon länger kennen und schätzen, möglicherweise auch, dann sagt das doch auch gern weiter. Denn ich würde mich freuen, wenn wir noch mehr Menschen jede Woche mit einem anderen Blick auf Wirtschaft begeistern können. Schickt dafür einfach eine besonders hörenswerte Folge, vielleicht ja sogar diese hier von dieser Woche, per Messenger weiter oder teilt den Podcast in sozialen Netzwerken wie LinkedIn, Instagram oder auch bei Mastodon. Am nächsten Freitag folgt hier wie gewohnt die nächste Folge, und ich freue mich, wenn ihr dann wieder mit dabei seid. In diesem Sinne, gern bis zum nächsten Mal. Der Brandeins Podcast: Wirtschaft anders denken. Jede Woche bei detektor.fm. Der Brandeins Podcast wird produziert vom Podcastradio detektor.fm. Redaktion: Stefan Ziegert, Katja Stamm und Gerolf Mayer, in Zusammenarbeit mit Frank Dahlmann vom Brandeins Magazin. Moderation: Christian Bollert.