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Bild: Jorm Sangsorn | Shuttertstock.com

Die großen Fragen der Wissenschaft | Michael Pauen

Haben wir einen freien Willen?

Sind wir wirklich frei in unseren Entscheidungen oder handelt das Gehirn, bevor wir es merken? Der Philosoph Michael Pauen erklärt, warum die Libet-Experimente unseren freien Willen nicht widerlegen und wieso Philosophie und Hirnforschung zusammengehören.

Die Hirnforschung und der freie Wille

Die Frage nach dem freien Willen beschäftigt die Menschheit seit Jahrtausenden. Vor allem in der Philosophie spielt sie eine große Rolle. Erst im 20. Jahrhundert brachte die Hirnforschung neue Erkenntnisse und auch viel Aufregung in die Diskussion. Sind wir wirklich freie und selbstbestimmte Wesen oder sind all unsere Entscheidungen nur das unbewusste Ergebnis von neuronalen Prozessen?

Michael Pauen ist Philosophieprofessor an der Berliner Humboldt-Universität und einer der bekanntesten Vertreter der Neurophilosophie im deutschsprachigen Raum. Er ordnet die Befunde der Wissenschaft ein und betont, dass die Annahme, der freie Wille sei durch die Neurowissenschaften widerlegt, übertrieben sei.

Die Libet-Experimente — ein Missverständnis?

Der Neurophysiologe Benjamin Libet wollte in den 1980er-Jahren herausfinden, ob bewusste Entscheidungen der Ursprung unseres Handelns sind. Versuchspersonen sollten spontan eine einfache Bewegung ausführen, während ihre Gehirnaktivität gemessen wurde. Das Ergebnis: Schon rund 550 Millisekunden vor der Bewegung zeigte sich ein Bereitschaftspotenzial. Der bewusste Wille trat erst etwa 200 Millisekunden vorher auf. Viele deuteten dies als Beweis, dass das Gehirn „zuerst handelt“.

Das Ergebnis hat Aufsehen erregt, weil das, was wir als freie Entscheidung betrachten, wird in Wirklichkeit durch das Gehirn bestimmt.

Michael Pauen, Professor für Philosophie an der Humboldt Universität in Berlin

Pauen hält diese Deutung trotzdem für überzogen. Obwohl die Ergebnisse kontraintuitiv waren, widerlegen sie nicht per se die Idee der Selbstbestimmung. Vielmehr zeigten sie, wie komplex die Beziehung zwischen unbewussten Gehirnprozessen und unserem bewussten Erleben ist. Bei Libet wurden zudem nur einfache Handlungen, wie eine Fingerkrümmung untersucht.

Was bedeutet Freiheit?

Laut Pauen geht es bei der Willensfreiheit nicht darum, ob die Welt determiniert ist. Die entscheidende Frage lautet: Haben wir einen Einfluss auf unser eigenes Handeln? Freiheit bedeutet also vor allem Selbstbestimmung, die sich aus zwei Kriterien zusammensetzt:

  • Urheberschaft: Die Handlung muss von uns selbst ausgehen und darf nicht zufällig sein. Zufall schließt Verantwortung aus.
  • Autonomie: Wir sind nicht fremdbestimmt, niemand zwingt uns zu unserem Handeln.

Diese Definitionen sind entscheidend, da sie eine Brücke zur juristischen Praxis schlagen. Ein Gerichtssystem, das auf der Verantwortung des Individuums basiert, kann nur funktionieren, wenn Autonomie und Urheberschaft gegeben sind.

Philosophie und Hirnforschung im Dialog

Für Pauen ist klar: Philosophie und Neurowissenschaften ergänzen sich. Die Hirnforschung liefert Daten, die Philosophie stellt die entscheidenden Fragen. Gemeinsam ermöglichen sie ein tieferes Verständnis unseres Geistes.

Haben wir einen freien Willen? Darum geht es in dieser Folge unseres Podcasts „Die großen Fragen der Wissenschaft“. Katharina Menne und Carsten Könneker von Spektrum der Wissenschaft sprechen mit Philosoph Michael Pauen über unsere Entscheidungen, Selbstbestimmung, Hirnprozesse und gesellschaftliche Debatten rund um Nudging, künstliche Intelligenz und Rechtsverständnis.


Redaktion und Moderation: Katharina Menne und Carsten Könneker

Redaktion detektor.fm: Stephan Ziegert und Imke Zimmermann

Audioproduktion: Benjamin Serdani und Stanley Baldauf

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