Es war eine Zeit der ständigen Kriege, blutiger religiöser Konflikte und verheerender Seuchen wie der Pest. Und zugleich war es ein Zeitalter der kulturellen Meisterleistungen, deren Pracht wir noch heute bestaunen. Ich spreche von der Renaissance. So nennt man die Epoche, die Europa aus dem dunklen Mittelalter herausgeholt und in die Neuzeit geführt hat. Während das Mittelalter ganz im Zeichen der Gottesfurcht stand, entdecken die Menschen in der Renaissance das Individuum. Oder besser gesagt, sie entdecken es wieder, nach dem Vorbild der Antike. Wenn es heute um die Renaissance geht, denken die meisten wohl vor allem an Italien. Nach wie vor zieht es die Menschen in Städte wie Florenz, wo die Meister der Renaissance beeindruckende Gemälde, Skulpturen und Architektur geschaffen haben. Eher weniger denken wir dabei an Ostmitteleuropa, den Raum zwischen Ostsee und Adria. Und das ist ein riesen Versäumnis, wie wir in dieser Folge vom Forschungsquartett hören werden. Ein neues Handbuch führt uns nämlich den kulturellen Schatz vor Augen, den Ostmitteleuropa in der Renaissance hervorgebracht hat. Und wir erfahren, was uns diese Kunst über das Denken und Fühlen der damaligen Zeitgenossinnen verrät. Dazu gleich mehr. Mein Name ist Caroline Breitschädel, seid gegrüßt. Von der Renaissance zum Barock. Das ist der Titel des fünften Bands der Reihe „Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa“. Die Buchreihe basiert auf der Grundlagenforschung, die die ExpertInnen am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa leisten. Und das neue Handbuch entführt uns in das Jahrhundert von 1570 bis 1670. Ein Jahrhundert voller Umbrüche und kultureller Errungenschaften. 94 AutorInnen aus elf Ländern stellen 273 Werke der ostmitteleuropäischen Renaissance vor und geben dabei Einblicke in sämtliche Gattungen, von Architektur und Gartenkunst über Kunsthandwerk und Textilien bis hin zu Bildhauerei und Malerei. Veranschaulicht werden die besprochenen Objekte durch mehr als 500 Abbildungen. HerausgeberInnen des Bands „Von der Renaissance zum Barock“ sind Agnieszka Goncior, Direktorin des Schlesischen Museums Görlitz, und Marius Winzeler, Direktor des Grünen Gewölbes und der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlung in Dresden. Mein Kollege Johannes Schmidt ist mit den beiden auf Zeitreise ins Jahr 1570 gegangen, den Ausgangspunkt des Handbuchs. Zuerst wollte er von ihnen wissen: Was war das für eine Epoche und wie können wir uns Ostmitteleuropa zu jener Zeit vorstellen? Also, für uns ist natürlich ganz relevant, dass wir ja nicht eine europäische Kunstgeschichte und Kulturgeschichte hier schreiben, sondern den Fokus ganz klar auf Ostmitteleuropa gerichtet haben. Was natürlich nicht ein luftleerer Raum ist. Sondern wenn wir diese Zeit betrachten, dann spielt natürlich die Nachfolge der Reformation hier eine ganz wichtige Rolle. Es sind aber vor allem Kriege, die wiederum auch in diesen Raum hineinwirken und davon ganz großer Bedeutung sind, die zum Teil mit den Konfessionen zu tun haben, aber natürlich sehr stark machtpolitisch orientiert sind. Es ging darum, wer jetzt gerade in diesem ostmitteleuropäischen Raum Vormachtstellung entwickeln konnte. Insofern ist es eine sehr vielfältige, auch sehr gegensätzliche Zeit, denn Krieg und Frieden wechseln sich intensiv ab. Und wenn man jetzt aber denkt, nach dem häufig zitierten Sprichwort, dass im Krieg die Musen schweigen, so stimmt das gerade gar nicht. Sondern auch die Kriege in diesem ostmitteleuropäischen komplexen Gefüge haben sehr viele interessante Kunstwerke und kulturhistorische Phänomene hervorgebracht, die wir gerade für diese Zeit versucht haben herauszukristallisieren. Kriege sind das richtige Stichwort für diese Epoche. In dieser Zeit formte sich im Laufe dieser Kriege auch das neue Gesicht Europas, und hier spielten Mächte wie Polen, Litauen, die Habsburger, die schwedische Krone, aber auch Osmanen eine sehr wichtige Rolle. Und da sind alle Kontrahenten, die miteinander in Kontakt entstanden. Die Kriege sind nicht wie ein totaler Krieg geführt worden, sondern in einer Reihe von vielen Auseinandersetzungen, Verhandlungen, Friedensversuchen, Friedensschlüssen, neunten Ausbrüchen von Kriegshandlungen. Und das alles führte dazu, dass man sich auf diplomatischem Parkett immer wieder begegnete. Und das wiederum war auch ein Grund, sich künstlerisch zu positionieren, die Repräsentation zu betreiben, auch mittels der Künste. Das heißt, dieser Bedarf in diesen Ringen miteinander nach repräsentativer Selbstdarstellung war sehr hoch. Dann wollen wir vielleicht einen wichtigen Begriff direkt an der Stelle mal noch klären. Und zwar: Was ist denn mit Ostmitteleuropa gemeint? Können Sie den Raum mal abstecken, um den es geht? Ja, also wenn man den Raum betrachtet, dann umfasst er die heutigen Staaten Tschechien, Polen, Litauen, Lettland, auch den Süden von Estland, Belarus mit westlichen Regionen, auch des heutigen Russlands, weite Teile der Ukraine, Moldawien, Ungarn, die Slowakei, Rumänien oder Teile Rumäniens, Teile Serbiens, Kroatien, Slowenien, das Burgenland in Österreich und auch bis 1635 die beiden Lausitzen, die zur böhmischen Krone gehört haben. Okay, ein Raum mit vielen Einflüssen, das haben wir jetzt gerade gehört. Ist das Christentum spielt eine Rolle, die Reformation insbesondere, aber auch der Islam in Gestalt der Osmanen. Also da kommt einiges zusammen, vor allem in 100 Jahren, die Sie in Ihrem Handbuch betrachten. Was mich interessieren wird, bevor wir noch mal näher in die Kultur und vor allem in die Kunst reingehen und damit in das Buch: Warum war es Ihnen denn ein Anliegen, dieses Buch herauszugeben, den mittlerweile fünften Band der Reihe? Beschäftigen Sie sich auch sonst in Ihrer Arbeit mit dieser Epoche, oder wie war der Zusammenhang für Sie? Ja, also diese Epoche ist natürlich eine besonders spannende, und wir beide als Herausgeber beschäftigen uns schon lange mit dieser Zeitspanne und intensiv. Und gerade dieser Raum beschäftigt uns beide auch schon sehr, sehr lange, sowohl von historischer als auch kulturgeschichtlicher und kunsthistorischer Sicht. Und ganz wichtig ist bei der Idee dieses Handbuchs in der Umstand, dass es ja viele Überblickswerke gibt über nationale Kunstgeschichten, die polnische, die tschechische, die ungarische, die rumänische und so weiter und so fort. Also auch gerade im ostmitteleuropäischen Raum gibt es fast für jedes Land eine solche nationale Kunstgeschichtsbetrachtung über die Zeit hinaus. Aber es fehlt sozusagen etwas Überblickendes, Verbindendes, Synthetisierendes auch. Und das wird vor allem deutlich, wenn wir die westeuropäisch geprägte Forschung anschauen. Da spielt leider Ostmitteleuropa immer noch eine Nebenrolle und ist in einem Schattendasein, obwohl es so wunderbare, hochrangige und einzigartige Kunstwerke in Hülle und Fülle gibt. Nicht nur aus unserer Epoche, natürlich. Aber das war sozusagen auch der Ursprung dieser Idee, dass man, wenn man Propyläenkunstgeschichte oder Pelleknister auf Art und weiß ich was anschaut, da kommt Ostmitteleuropa immer nur so ganz marginal vor. Und das Thema eben unseres Handbuches ist genau diese Region, um zu zeigen, wie verflochten sie mit dem Westen, aber auch mit dem Osten ist und wie es ganz einzigartige und hochrangige Werke gibt, die endlich auch zum Kanon der Weltkunstgeschichte gehören sollen. Die Randstellung der Kunstgeschichte Ostmitteleuropas entsteht durch dieses Ost-West-Gefälle der Fachbetrachtung schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Und was hier aber eine sehr wichtige Rolle spielt, ist auch die Unkenntnis der Sprachen. Also es sind sehr viele Nationalsprachen in denen sehr viel erscheint, nur das ist dem westlichen Publikum sehr häufig einfach auch nicht geläufig. Und somit haben wir diesen Versuch unternommen, genau diese neueste Forschung auch in diesem Buch zugänglich zu machen, indem wir sehr viele Autoren aus der Gegend zur Mitarbeit eingeladen haben. Es sind insgesamt über 90 Autoren, die sich hier beteiligt haben und ihr Wissen, das aus den neuesten Forschungen sich speist, hier mit eingepflegt haben. Und dieses Buch ist gegliedert, sodass wir in Essay-Beiträgen so übergreifende Phänomene zu fassen versuchen. Und dann gibt es einen zweiten Teil, einen sehr großen Teil, das ist ein Katalog. Beide diese Teile beruhen auch auf sehr guten Abbildungen. Also das ist ja der Versuch, dem deutschsprachigen Publikum zunächst einmal und vielleicht auch anderweitigen Publikum einfach dieses Material zur Verfügung zu stellen und darauf aufmerksam zu machen, welche Schätze in dieser Zeit auch in Ostmitteleuropa entstanden sind. Wir haben ja anfangs über Kriege gesprochen. Der Dreißigjährige Krieg führte zum Beispiel auch dazu, dass die Kunstproduktion in dieser Zeit sehr stark eben zum Beispiel in Polen und Litauen stattgefunden hatte, aufgrund der kriegerischen Handlungen. Also dass hier wirklich die neuesten Rezeptionen, neueste Strömungen sehr stark gewesen sind und die von dem Dreißigjährigen Krieg betroffenen Gebiete erst später nachgezogen sind. Das führte auch dazu, dass sich die Zentren auch verlagert haben. Also es gibt sehr, sehr viel Bewegung und, wie gesagt, Forschung, die nicht in dem Maße bekannt ist, um sie in europäischer Kunstgeschichte tatsächlich gleichberechtigt zu berücksichtigen. Ja, Sie haben es eben schon gesagt: Wenn wir Renaissance hören, Barock hören, dann gehen die Gedanken bei den meisten wahrscheinlich erst mal nach Westeuropa, italienische Renaissance, Niederlande vielleicht. Das ist das, was mir so als erstes einfallen würde. Wie sieht denn eine ostmitteleuropäische Renaissance aus? Also, Sie haben das Jahr 1570 als Startpunkt gewählt. Warum denn 1570? Was kann ich mir unter einer ostmitteleuropäischen Renaissance zu dieser Zeit denn vorstellen? Ja, also unser Band heißt ja „Von der Renaissance zum Barock“. Also wir lösen uns nicht ganz von den Stillbegriffen, das ist richtig, aber diese Epoche ist sozusagen zwischen den Stühlen. Die Renaissance ist auch in Ostmitteleuropa 1570 schon Jahrzehnte alt. Man kann sagen, die Renaissance aus Italien wurde als erstes in Ungarn in der Zeit von Matthias Korvinus schon fast 100 Jahre früher rezipiert. Und die ersten Denkmäler, die mit dem Humanismus und mit Buchmalerei, Architektur der feinsten frontinischen Renaissance zu tun haben, außerhalb Italiens entstanden, da auch. Das ist dem westeuropäischen Publikum meist bis heute noch nicht bekannt gewesen. Aber wir knüpfen natürlich jetzt nicht insofern nicht ganz direkt da an, als wir später einsetzen. Also eigentlich in der Phase der Spät Renaissance oder auch des Manierismus. Der Frühbarock kündet sich auch schon an, wenn man das jetzt so rein stilgeschichtlich betrachtet. Aber Renaissance in Ostmitteleuropa ist eine sehr viel vielfältigere Geschichte, vielleicht als man erwarten würde. Natürlich sind die Impulse da auch weiterhin aus Italien sehr stark. Wenn wir gerade in Polen und Litauen schauen, wie viele italienische Baukünstler da tätig waren und mit welchen originellen Werken sie da in Erscheinung treten. Das ist unglaublich faszinierend und wirklich überraschend. Aber es gibt eben dann auch den Einfluss aus den Niederlanden. Und es sind nicht nur diese westlichen oder südlichen Einflüsse, die da relevant sind. Das wäre wieder die rein westeuropäische Perspektive, sondern es entsteht da etwas Neues. Es ist eine Mischung, die da entsteht. Ganz gezielt wählen die ostmitteleuropäischen führenden Adelsfamilien dann bestimmte Typen aus. Und da kommt eben wieder auch dann sogar in diesen Elementen osmanischer Rezeption plötzlich hinein, die es so im westlichen Europa natürlich nicht gibt. Und das macht diese Region dann wiederum zu etwas ganz Besonderem. Eigentlich in dieser Mischung, in diesem Austausch, dieser Offenheit auch im Diskurs über viele Dinge. Und das ist letztendlich natürlich auch ein Spiegel dessen, was Sie kurz angesprochen haben, auch der Multireligiosität, der Vielfalt konfessioneller Prägungen. Wir haben hier einen starken Einfluss durch die osmanische Eide, nicht nur vom Islam her, sondern auch von der repräsentativen Kunst und Kultur der islamisch geprägten Machtstrukturen. Auch die Faszination dafür. Auch ein ganz starkes Judentum. Das ist auch natürlich durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges und dem Nationalsozialismus auch leider in Ostmitteleuropa sehr stark dezimiert. Aber immer noch gibt es hier Zeugnisse von einzigartiger Bedeutung, die es so im mittleren und westlichen Europa aus dieser Zeit nicht gibt. Dann wollen wir uns das mal ein bisschen konkreter vorstellen. Das Buch, Sie haben es gerade ausgeführt, deckt 100 Jahre ab, eine sehr heterogene Entwicklung, viele Einflüsse, viele regionale Ausprägungen, Besonderheiten, die man nicht in einen Topf werfen kann. Ein sehr ambitioniertes Projekt, darüber ein Handbuch herauszugeben. Wie sind Sie denn bei der Auswahl der Autoren und Autorinnen vorgegangen? Also welche Art von Kunst und Kunstwerken finden sich im Handbuch und wie haben Sie die ausgewählt? Wir haben versucht, in unserem Handbuch sehr, sehr breit uns der Kunst dieser Zeit zu nähern. Und von Architektur angefangen über grafische Künstler, über die Gemälde, Skulpturen, solche Denkmäler, Skulpturen, die als eigenständige Kunstwerke funktionierten, aber auch solche, die die Bauten schmückten, bis zu Gartenkunst und präziosen Goldschmiederwerken etc. Also diese Bandbreite ist sehr, sehr breit. Und natürlich kann man nicht alles abdecken. Wir haben festgestellt, durch die Kriege in dieser Region, die später stattgefunden haben, ist sehr viel verloren gegangen. Aber doch, wenn man danach sucht, ist mehr erhalten, als wir gedacht haben, sodass wir auch gezwungen waren, durchaus Auswahl immer wieder zu treffen. Wir versuchten aber wirklich, thematische Bandbreite von Kinderporträts bis zu repräsentativen Darstellungen, auch auf Münzen, auf Medaillen, bis zur Sepulchralkultur und Buchmalerei, alles zu berücksichtigen. Also die Bandbreite ist sehr, sehr breit. Und natürlich gibt es in jedem der Länder Spezialisten, die sich mit diesen Artefakten und mit dieser Epoche beschäftigen. Und so waren wir sehr lange auf der Suche in allen Ländern und versuchten, durch unsere Kontakte hier ein Team zusammenzustellen, das möglichst viele Bereiche dieser Epoche abdeckt. Und das ist uns sehr gut gelungen, wie ich finde. Ja, dann möchte ich es mir gerne mal ein bisschen konkreter vorstellen. Ich würde Sie vielleicht beide mal bitten, jeweils ein Werk zu nennen, das Sie in der Beschäftigung mit dem Handbuch besonders in Ihren Bann gezogen hat. Irgendetwas, das Sie besonders fasziniert hat. Haben Sie da vielleicht ein Beispiel, von dem Sie berichten können? Für die Abbildung auf dem Cover haben wir ein Gemälde von Bartholomäus Strobl den Älteren gewählt. Das ist ein an sich auch schon sehr interessanter Maler. Der ist geboren im sächsischen Schneeberg und ist nach Breslau eingewandert, hat Lehre bezogen, hat eine Gesellenwanderung in Polen, in Sachsen und ganz sicher auch in Prag auf dem juridolphinischen Hof oder im weiteren Umkreis dessen absolviert und ist nachher zu den führenden Malern in Breslau, heutigen Wrocław, aufgestiegen. Er stand im Dienst von dem Bischof von Breslau, also Erzherzog Karl von Österreich. Er besaß mehrere Freibriefe des Kaiser Matthias, der Könige von Polen unter Sigismund III. Vasa. Er war ein begnadeter Porträtist und wurde sehr von den Reichen der Welt in Anspruch genommen. Und dieses Gemälde, aus dem dieser Ausschnitt auf unserem Cover stammt, ist ein riesiges Bild von fast zehn Meter Breite, drei Meter Höhe, das sich heute im Prado befindet. Das Gemälde zeigt einen reich bestellten Tisch, an dem die Reichen und Schönen der damaligen Welt sitzen. Also Könige, Fürsten, Kriegsherren. Und das Ganze hat einen religiösen Hintergrund. Das ist die Enthauptung Johannes des Täufers und das Gastmahl bei Herodes, wo dieser Kopf des Johannes des Täufers präsentiert wird. Ein sehr rätselhaftes Werk, noch nicht in Gänze entziffert, aber das hat eine sehr starke Beziehung zur schlesischen Geschichte. Bartholomäus Strobl war, wie gesagt, ein Maler in Breslau, und im Laufe des Dreißigjährigen Krieges war er gezwungen, seine Heimat zu verlassen, wie viele andere Humanisten und Protestanten, die sich um den Herzog Christian von Brieg versammelten. 1636 sind sie ausgewandert ins damalige polnische Ostseegebiet, also nach Thorn, nach Danzig. Und in diesem Gemälde versteckt sich ein Bild der Epoche, das sozusagen einerseits die Opulenz dieser Epoche zeigt, aber andererseits auch mit einer Anklage verbunden ist, in der Schlesien im Zuge des Dreißigjährigen Krieges sozusagen unter die Hufen der Streitmächte geraten ist und mit sehr vielen Verlusten zu kämpfen hatte. Auf jeden Fall ist dieses Gemälde schon im 18. Jahrhundert nach Spanien gelangt. Im königlichen Hof hat das einen königlichen Palast geschmückt und befindet sich heute im Prado. Und damit verbindet sich noch eine andere interessante Geschichte. Der Maler, nämlich, also das Gemälde ist im Prado und wurde in den 60er Jahren als ein hervorragendes Werk eines unbekannten Malers entdeckt. Es gab eine Konferenz dazu, viele Forscher dieser Zeit, also vor allem der westlichen Welt, Spanier, Niederländer, Franzosen haben sich darüber ausgetauscht und das interpretiert. Und dann hat ein tschechischer Wissenschaftler, Jaromir Neumann, entdeckt, dass es sich um den Bartholomäus Strobl den Schlesier handelt. Und in dem Moment versickerte das Interesse und das Werk wanderte in das Depot und war sehr, sehr viele Jahrzehnte nicht sichtbar. Und das zeigt sozusagen einerseits die Epoche an sich, aber auch den Umgang der Welt Europas mit diesem Erbe Ostmitteleuropas. Und deswegen haben wir dieses Werk für das Cover. Ja, sehr faszinierend, auf jeden Fall. Da läuft ja wirklich auf beiden Ebenen vieles zusammen. Ja, spannend. Und Herr Winzeler, was wäre ein Werk, das für Sie besonders faszinierend war, wo Sie sagen würden, das bringt vieles zusammen? Also aus meiner Sicht gehört es zu den interessantesten und auch signifikantesten Beispielen, die aber auch in vielen anderen Beispielen wiederum auch eine gewisse Spiegelung finden würden. Die Boimkapelle in Lviv, in Lemberg oder auf polnisch Lwów. Also eine Stadt, die ja leider auch durch den aktuellen Krieg wieder neu ins Bewusstsein gerückt ist, die eine jahrhundertelange ganz reiche Geschichte hat und um 1600 eben auch schon ein Melting Pot war. Da haben nicht nur Polen und Ukrainer, sondern auch Deutsche, Armenier, Juden, Griechen und Schotten dort gelebt und zusammen mit ihren unterschiedlichen kulturellen Prägungen diese Stadt geprägt. Und diese Boimkapelle ist ein kleiner italienisch anmutender Kuppelbau neben der lateinisch katholischen Kathedrale. Es gibt dort auch eine ruthenische, also ukrainische und armenische Kathedrale neben der lateinisch katholischen. Und diese Kapelle ist überaus reich geschmückt, und dieser Schmuck hat es in sich. Es sind ganz komplizierte ikonografische Darstellungen. Es ist ein gewisser Horror Vacui festzustellen von Dekor. Und wenn man sich näher damit beschäftigt, dann öffnet sich eben da eine sehr vielfältige und spannende Gemengelage. Zum einen ist es so, dass diese Kapelle als Grablege und Memorialbau von einem Kaufmann in Auftrag gegeben worden ist, der selber aus Ungarn stammte und eigentlich ursprünglich ein Protestant war, der dann konvertierte. Er war dann auch erfolgreicher Lemberger Stadtrat und sogar Sekretär des Königs Stephan Batory und hat sich dann dieses Denkmal setzen lassen, wollte natürlich was Exklusives. Und er hat dann Künstler, wahrscheinlich aus Breslau, also aus Schlesien, engagiert, die aber etwas gemacht haben, was sehr stark auf den italienischen Vorbildern wiederum einerseits zurückgeht, aber andererseits auch den ganzen niederländischen Dekorationsstil aufgreift, der rezipiert worden ist durch Grafiken. Und entstanden ist eben etwas, was es so nirgendwo anders gibt. Was eben diese Vielfalt, diesen Reichtum, diese Originalität dann wunderbar auch zur Sprache bringt und da etwas einzigartig Ostmitteleuropäisches schuf. Dieses kleine Kapellchen ist ein Inbegriff für viele Memorialbauten, denn gerade in Kriegszeiten und in solchen unsicheren und, sagen wir mal, auch kulturell so divers geprägten Epochen spielt natürlich die persönliche Memoria auch eine besondere Rolle. Es ist deswegen auch kein Zufall, dass in unserem Band neben vielen Gemälden eben auch gerade eine ganze Reihe von Grabdenkmälern, die sehr, sehr unterschiedlich sind, eine starke Rolle spielen. Und da kommt vielleicht auch noch etwas zum Tragen, was in dem Kontext sehr wichtig ist, dass wir auch mit der Auswahl der Exponate und dieses Katalogteils mit 273 einzelnen Monografien versucht haben, auch sehr stark historisch und kulturgeschichtlich diese Vielfalt aufzuzeigen und eben nicht nur Kunstwerke gewissermaßen als stilistische Blüten zu zeigen, sondern in ihrem historischen Zusammenhang aufzuzeigen, weswegen auch unsere Essays doch sehr stark historisch geprägt sind und versuchen, auch ein von der Kunst als Material, als visuellem Material ausgehendes Zeitbild irgendwie zu skizzieren. So sehr mosaikartig, das natürlich auch bleiben muss, oder so sehr wie eine Skizze erscheint, so ergeben sich doch interessante Konturen und auch Flächen, die sehr farbig sind. Ja, sehr spannend. Dann vielen Dank Ihnen beiden soweit. Ich würde jetzt zum Schluss des Gesprächs vielleicht mal nochmal versuchen, das Ganze ein bisschen zu abstrahieren. Ich wollte mal sagen, in der Kunst einer Epoche spiegeln sich ja politische, kulturelle, philosophische Fragen, Vorstellungen, Probleme der Zeitgenossen und Genossinnen. Wenn man jetzt so durchs Handbuch blättert, durch die 100 Jahre, die Sie zusammengestellt haben, welche roten Fäden werden da in Ostmitteleuropa erkennbar, die vielleicht was ganz Eigenes, was Genuines sind, das man so in Italien oder in den Niederlanden oder wo auch sonst in Westeuropa nicht finden würde? Also, was macht sie aus, die ostmitteleuropäische Renaissance beziehungsweise Barock? Also ich würde sagen, etwas, was charakteristisch ist, ist eine gewisse Kleinteiligkeit, eben auch durch die ständische Verfasstheit dieser Länder zum großen Teil. Eine Kleinräumigkeit, die aber nicht ausschließt, dass es trotzdem auch großräumigere Bezüge gibt. Also das Thema von Zentrum und Peripherie ist in Ostmitteleuropa zeitweilig so, dass die Zentren doch außerhalb des eigentlichen Untersuchungsgebietes liegen. Rom spielt immer wieder eine wichtige Rolle, auch andere Orte. Das gilt natürlich für die gesamte abländische Kunst- und Kulturgeschichte. Aber dass sich auch immer wieder lokale Zentren ausprägen. Und an der Stelle muss ich auch noch mal darauf zurückkommen, dass neben Polen, Litauen als der dominierenden Staatsmacht auch Prag eine ganz wichtige Rolle spielt. Nämlich Prag als Zentrum des Heiligen Römischen Reiches, als Hauptstadt. Es verlagert sich also die politische Perspektive nach langer Zeit wieder in den ostmitteleuropäischen Raum. Und kulturell, kunstgeschichtlich bedeutet das auch, dass da jetzt auf höchstem Niveau möglich ist, für den Kaiser und für seine Repräsentation eine neue Kunst entwickeln zu lassen. Und dieser Prager Hofstil, der von Italien und von den Niederlanden eben gleichermassen die Impulse erhalten hat, der strahlt dann ganz weit aus. Wir haben das mit Bartholomäus Strobl ja sehr eindrücklich auch schon gehört und können das auch an vielen Beispielen zeigen. Und es wechselt sich aber dann ab. Das ist eine relativ kurze Phase von wenigen Jahrzehnten. Dann verschiebt sich doch sozusagen das Geschehen ein bisschen mehr nordwärts. Und Polen, Litauen als eines der reichsten und potentesten Staatsgebilde des Europas überhaupt nimmt dann eine dominierende Rolle ein. Und die ist wiederum ganz anders geprägt. Und immer wieder, sowohl in der böhmischen als auch dann später, spielt aber diese osmanische impulsgebende Rolle mit hinein. Und das ist, denke ich, etwas, was sozusagen diese Epoche anders als zuvor und auch anders als danach, 1670, ganz besonders auszeichnet. Anknüpfend daran, was jetzt Marius Winzeler gesagt hatte, wollte ich noch ergänzend sagen, dass wir genau diese Entwicklungen in dem Buch auch illustrieren mit einer Reihe von Karten, die extra speziell für unsere Publikation angefertigt worden sind und versuchen, da in bestimmten zeitlichen Schritten einfach das sich wandelnde Antlitz der politischen Ordnung in Europa auch abzubilden. Es gibt außer diesen Fragen, die schon genannt worden sind, aber auch einige Themen, die sich durch das ganze Buch ziehen. Und das dazu gehört, also das ist schon vorher angeklungen: Kunsttransfer, der sich auf verschiedenen Ebenen verführte. Also einerseits durch den Austausch der Höfe, durch Übernahme bestimmter Vorbilder, aber auch durch Künstlermigration, die eben im Schatten des Krieges sehr, sehr stark gewesen ist. Also hier in Deutschland hat man vor allem den Dreißigjährigen Krieg für diese Zeit vor Augen, aber in den Niederlanden, durch den Achtzigjährigen Krieg, entstand eine sehr große Migration über. längeren Zeitraum, eben zum Beispiel in den Ostseeraum, der sehr, sehr stark in verschiedenen Formen sich bemerkbar machte und rezipiert worden ist. Dann sind es also nicht nur die Künstler, die migriert sind, sondern auch im Zusammenhang mit den Kriegen gab es auch damals in sehr großen Formen oder sehr großem Ausmaß Beutekunst, wo Kunst sozusagen die ungewollten Besitze wechselte. Und da gab es sehr viele große Beutekunstkampagnen, kann man fast sagen. Eins davon ist der Raub der Kunstkammer Rudolfs II. aus Prag durch die Kristina von Schweden oder auch später die sogenannte Schwedische Sintflut, wo aus Polen Nidhauen ganze Gebäude abtransportiert wurden und nach Schweden verbracht wurden, um sozusagen die modernen Baukunstformen in Schweden einfach verfügbar zu haben. Also diese Bewegung auf verschiedenen Ebenen in verschiedenen Bereichen zieht sich durch das ganze Buch und zeigt, dass wir diese nationalen Grenzen, mit denen jetzt die Kunst betrachtet wird, einfach unbedingt revidieren müssen. Denn durch die Nationalbrille bemerkt man viele Erscheinungen, viele interessante Entwicklungen überhaupt nicht. Und das versuchen wir auch in diesem Buch, und unsere Autoren machen das in ihren Beiträgen. Ja, ein sehr spannendes Unterfangen, das Sie da angegangen haben. Zum Schluss, jetzt als letzte Frage oder als letzte Einladung, würde ich Sie bitten, vielleicht ein kleines Plädoyer zu sprechen oder auszusprechen. Die meisten von uns haben sich wahrscheinlich noch nie mit der Renaissance bzw. dem Barock in Ostmitteleuropa beschäftigt und finden das auch weit weg. Sie haben vielleicht keinen historischen Bezug dazu. Deshalb zum Schluss ein kleines Plädoyer: Weshalb ist es so spannend, so lohnenswert, sich mit dieser Zeit, mit dieser Kunst und vielleicht auch mit Ihrem Handbuch zu beschäftigen? Bitteschön. Ich würde den Interessierten empfehlen, einfach das Buch einmal in die Hand zu nehmen und durchzublättern. Und ich denke, das ist Einladung genug, sich mit vielem was in diesem Buch steckt, zu beschäftigen. Denn die Opulenz dieser Kunst, die wir darstellen, auch die Art und Weise, wie die verschiedenen Bildformen und Darstellungsformen zusammengestellt sind, das macht einfach Lust, mehr darüber zu erfahren und auch Ostmitteleuropa in verschiedenen Ländern zu besuchen und kennenzulernen. Und das ist eine große Einladung, sich einfach kurz auf dieses Buch einzulassen und auf sich wirken zu lassen. Tolles Schlusswort, Herr Wünstler. Möchten Sie gern etwas ergänzen? Es ist zum einen wirklich diese Vielfalt, die begeistern kann und uns auch immer wieder begeistert hat im Prozess des Entstehens, weil wir viele dieser Dinge auch auf diesem Wege näher kennenlernen durften. Das empfand ich auch als besonderes Privileg. Und ich finde auch, etwas, was diese Region besonders auszeichnet, auch in ihrer Unterschiedlichkeit, ist, dass vieles nicht dem Kanon entspricht, also nicht dem gängigen Vorstellungsbild, eben auch nicht dem, was wir sozusagen aus rein italienisch-westlich geprägter Sicht als Renaissance verstehen. Im ostmitteleuropäischen Raum war man sehr fantasievoll. Man hat eben lokale Traditionen dann auch neu interpretiert und vermengt mit verschiedenen anderen. Also wenn man sich dann genauer damit beschäftigt, ist das alles mit einem hohen Kunstwollen, einem hohen Verständnis und einem Willen. Und wenn man dann die Auftraggeberinnen und Auftraggeber betrachtet, mit dem, was dahinter steht, dann eröffnet sich eben wirklich ein sehr anderes Geschichtsbild. Auch durch diese Vielfalt, durch dieses Nebeneinander und Miteinander. Natürlich war es eben nicht gerade sehr friedlich, was hier so geschehen ist, aber es gab doch auch sehr vieles, was wir heute unter Aspekten des Toleranzverständnisses auch betrachten können. Neben allen Abgründen gab es doch eben eine höhere kleinteilige Möglichkeit, dass verschiedene Konfessionen, verschiedene Ethnien sehr genuine Ausdrucksformen finden konnten. Und die wirkten sich eben dann auch in dieser Vielfalt sehr schön aus. Von der Renaissance zum Barock in Ostmitteleuropa – eine spannende Zeit, nicht nur in der Kunst, sondern auch politisch und philosophisch. Davon zeugen die Werke, die Agnieszka Goncior und Marius Winzler für den fünften Band des Handbuchs zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa zusammengestellt haben. Zugegeben, ganz billig ist das Handbuch nicht. Aber wenn es euch in die Hände fällt, dann nutzt die Gelegenheit. Das Buch ist eine echte Inspiration, sich mit den Schätzen der ostmitteleuropäischen Kunst zu beschäftigen und vielleicht ja mal einen kunstgeschichtlichen Abstecher in einen Kulturraum zu machen, der vielen von uns ziemlich unbekannt ist. Und damit kommen wir zum Ende dieser Folge Forschungsquartett, für die mein Kollege Johannes Schmitt mit den KunsthistorikerInnen Agnieszka Goncior und Marius Winzler gesprochen hat. Agnieszka Goncior ist Direktorin des Schlesischen Museums Görlitz und Marius Winzler Direktor des Grünen Gewölbes und der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlung in Dresden. Vielen Dank für das Gespräch. Recherche und Skript kommen von Johannes Schmitt, und Johannes und ich hatten auch die Redaktion für diese Folge. Mein Name ist Caroline Breitschädel. Vielen Dank fürs Zuhören und bis nächsten Donnerstag, wenn ihr mögt. Das Forschungsquartett in Kooperation mit dem Leibniz Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europas.