Nicușor Dan: Vom Forschungsprofessor zum Politiker
In der Mensa der Uni Bukarest gehen in den frühen 2010er-Jahren nicht nur Studierende ein und aus. Auch viele Bürgerinnen und Bürger kommen regelmäßig in die Mensa, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine günstige warme Mahlzeit zu bekommen. Unter diesen Leuten ist auch der Mathematiker Nicușor Dan. Nach frühen Erfolgen bei Mathematik-Olympiaden hat er in Paris Mathematik studiert und ist dann nach Rumänien zurückgekehrt. Seit 1998 ist er Forschungsprofessor und Dozent am Institut für Mathematik „Simion Stoilow“ der Rumänischen Akademie in Bukarest.
In der Mensa tauscht Dan sich über Mathematik aus, aber auch über Politik. Denn die Menschen sind unzufrieden. Es gibt viele Missstände in der Stadt: Korruption, illegale Bauprojekte, schwindende Grünflächen. Nicușor Dan hat bereits einen Entschluss gefasst: Er will mehr als nur mathematische Probleme lösen — er will politisch etwas verändern.
Im November 2011 kündigt Dan an, dass er für das Amt des Bürgermeisters von Bukarest kandidiert. Er tritt an, um Bukarest wieder zu einer lebenswerten Stadt zu machen.
Demian Nahuel Goos, Mathematiker

Zweimal scheitert Dan mit seiner Kandidatur. Doch im Jahr 2020 ist er erfolgreich: Als parteiloser Kandidat wird Dan zum Oberbürgermeister gewählt und aufgrund seiner positiven Bilanz wird er vier Jahre später sogar wiedergewählt. Doch zu vier weiteren Jahren Amtszeit kommt es nicht. Denn 2024 wird der erste Wahlgang der rumänischen Präsidentschaftswahl wegen Vorwürfen von Wahlbeeinflussung annulliert und eine Wahlwiederholung im Mai 2025 festgelegt.
Mathematik als Methode
Dan beschließt, selbst für das Präsidentenamt zu kandidieren. Im Wahlkampf präsentiert er sich als Aktivist gegen Korruption, als Kämpfer gegen die Selbstbedienungsmentalität in der rumänischen Politik — und als sachlicher und kompetenter Mathematiker, der unter Druck ruhig bleibt und systematisch Probleme lösen kann. In TV-Interviews wird er von Journalistinnen und Journalisten immer wieder aufgefordert, live komplexe Mathe-Aufgaben zu lösen. Sie wollen seine Expertise testen. Schließlich hat Dan, bevor er in die Politik gewechselt ist, an hochabstrakten mathematischen Problemen geforscht.
Im Zentrum seiner Arbeit stehen sogenannte rationale Lösungen. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie viele rationale Lösungen Gleichungen eines bestimmten Typs in der Regel haben — eine grundlegende, aber schwer zu beantwortende Frage. Dabei steht seine Arbeit exemplarisch für eine Entwicklung in der modernen Mathematik: weg von konkreten Einzelfällen, hin zu einer abstrakten Mathematik.
Dieser Kulturwechsel sorgt auch in der Mathe-Community für Debatten. Einige sind frustriert, weil konkrete Ergebnisse ausbleiben. Aber durch den Wechsel zu verallgemeinerten Fragen tun sich auch neue mathematische Werkzeuge auf.
Manon Bischoff, Mathe-Redakteurin bei Spektrum der Wissenschaft

Bei der Stichwahl der Präsidentschaftswahl 2025 in Rumänien siegt Nicușor Dan über seinen rechtsextremen Konkurrenten. Doch absehbar war das nicht. Was war am Ende wohl ausschlaggebend? Was bedeuten die Wahl und der neue Präsident für die Demokratie in Rumänien und für Europa? Und warum hat Nicușor Dan sich eigentlich für Rumänien, für die Politik und gegen eine Karriere als Top-Mathematiker entschieden? Darüber sprechen detektor.fm-Moderatorin Karolin Breitschädel, Spektrum der Wissenschaft-Redakteurin Manon Bischoff und Mathematiker Demian Nahuel Goos in dieser Folge von „Geschichten aus der Mathematik“.
„Geschichten aus der Mathematik“ ist ein detektor.fm-Podcast in Kooperation mit Spektrum der Wissenschaft. Die Idee für diesen Podcast hat Demian Nahuel Goos am MIP.labor entwickelt, der Ideenwerkstatt für Wissenschaftsjournalismus zu Mathematik, Informatik und Physik an der Freien Universität Berlin, ermöglicht durch die Klaus Tschira Stiftung.