Srinivasa Ramanujan: Mathematik jenseits der Konvention
Srinivasa Ramanujan kommt 1887 im Süden Indiens zur Welt, als Indien unter britischer Kolonialherrschaft steht. Zu dieser Zeit transformieren die Briten das indische Bildungssystem, zentralisieren es, richten es nach ihren Vorstellungen aus. Es gelangen wissenschaftliche Standardwerke aus Europa nach Indien, doch zugleich gehen einige indische Traditionen verloren. Ramanujan bekommt den Umbruch hautnah mit: Er lernt früh Englisch, weil die Briten Englisch als Unterrichtssprache einführen, und er bekommt mit 15 oder 16 Jahren ein englisches Mathe-Nachschlagewerk in die Hände, das er eigenständig durcharbeitet. Obwohl „A Synopsis of Elementary Results in Pure Mathematics“ des britischen Mathematikers George Shoobridge Carr kein Lehrbuch und zudem ziemlich veraltet ist, entfacht es Ramanujans Leidenschaft für Mathematik.
Zugang zu aktueller Forschung hat Ramanujan zunächst nicht. Trotzdem entwickelt er bereits als Jugendlicher eigene Theorien — allein mithilfe des alten Nachschlagewerks. Sein Zugang zur Mathematik ist intuitiv, kreativ und folgt keiner bestimmten Methode. Seine Versuche, Mathematik in Indien zu studieren, laufen ins Leere — stattdessen sucht er den direkten Kontakt zu Mathematikern und erhofft sich, dass sie ihn bei seinem Vorhaben unterstützen, seine Forschungsergebnisse zu publizieren. Es sieht auch erst einmal gut aus …
Was Ramanujan in der Zeitschrift der Indian Mathematical Society veröffentlicht, sind keine streng wissenschaftlichen Artikel, sondern eher unkonventionelle Gedankenexperimente. Und oft können die Leser Ramanujan nicht ganz folgen.
Demian Nahuel Goos, Mathematiker

Kurzes Leben, langer Nachhall
Als Ramanujan beginnt, seine Forschung per Post an renommierte Mathematiker in Europa zu schicken, wird er zunächst belächelt oder ignoriert. Doch ein Brief an den Cambridge-Professor Godfrey Hardy ändert alles. Hardy erkennt: Hinter den unorthodox notierten Formeln steckt kein Scharlatan — sondern ein Genie. Obwohl Ramanujan keine Beweise, keine Herleitungen liefert, ist seine Arbeit bahnbrechend: Einige seiner Gleichungen führen Jahrzehnte später zu Entdeckungen in der modernen Mathematik und Physik. Zum Beispiel seine Erkenntnisse zur Zahl 1729, die als „Taxicab-Number“ oder „Hardy-Ramanujan-Zahl“ in die Geschichte eingehen wird.
Ramanujan sagt, dass die 1729 die kleinste Zahl ist, die sich auf zwei verschiedene Weisen als Summe zweier Kubikzahlen schreiben lässt. Diese Einsicht bringt viele neue mathematische Erkenntnisse hervor — und prägt damit das Fach bis heute.
Manon Bischoff, Mathe-Redakteurin bei Spektrum der Wissenschaft

Ramanujan stirbt jung, mit nur 32 Jahren. Doch seine Ideen leben weiter. Sogar in der Stringtheorie tauchen sie wieder auf. Und selbst Popkultur-Formate wie Futurama oder die Simpsons greifen seine Arbeit auf — in Form der wundersamen Zahl 1729.
Was hat es mit der 1729 auf sich? Was sagt Ramanujans Geschichte über die Zugangsvoraussetzungen für eine wissenschaftliche Karriere aus? Und was können wir von ihm lernen — jenseits der Mathematik? Darüber sprechen detektor.fm-Moderatorin Karolin Breitschädel, Spektrum der Wissenschaft-Redakteurin Manon Bischoff und Mathematiker Demian Nahuel Goos in dieser Folge von „Geschichten aus der Mathematik“.
„Geschichten aus der Mathematik“ ist ein detektor.fm-Podcast in Kooperation mit Spektrum der Wissenschaft. Die Idee für diesen Podcast hat Demian Nahuel Goos am MIP.labor entwickelt, der Ideenwerkstatt für Wissenschaftsjournalismus zu Mathematik, Informatik und Physik an der Freien Universität Berlin, ermöglicht durch die Klaus Tschira Stiftung.