Multiresistente Keime als Gefahr
Wer ins Krankenhaus geht, will eigentlich wieder gesund werden. Doch jedes Jahr sterben in Deutschland bis zu 15.000 Menschen an gefährlichen Krankenhauskeimen. Das sind ungefähr so viele Menschen wie Drogen- und Alkoholtote zusammen. Aber die Zahl der Toten dürfte noch weitaus höher sein. Das zumindest legen Recherchen von Zeit Online, der Funke Mediengruppe und dem gemeinnützigen Recherchebüro Correctiv nahe.
Ein Team von mehr als zehn Journalisten hat sich monatelang intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Ein zentraler Punkt der Geschichte ist die Umsetzung in einer interaktiven Karte. Dort kann jeder Leser die konkreten Fälle in seiner Umgebung per Postleitzahl nachschauen. Diese Einbindung von Datenelementen nennt man auch Datenjournalismus. Eine zusätzliche Erzähl- und Erkenntnisebene für Journalisten.
Christian Bollert hat mit drei Journalisten aus dem Rechercheteam gesprochen, die sich besonders intensiv mit den Daten beschäftigt haben und wirft einen Blick hinter die Kulissen dieser aufwändigen Datenjournalismus-Geschichte.
Der Beitrag zum Nachlesen
Keime und Krankenhaus – das passt eigentlich nicht zusammen. Tatsächlich sind aber Krankenhauskeime in Deutschland ein sehr großes Problem. Zuletzt hat das eine umfangreiche Recherche von Zeit Online und Correctiv ans Tageslicht gebracht. Demnach werden widerstandsfähige Keime in Krankenhäusern unterschätzt. Denn diese multiresistenten Keime töten jährlich in Deutschland tausende Menschen. Diese Keime sind resistent gegen Antibiotika, die bisherige Geheimwaffe der Medizin kann nichts gegen sie ausrichten. Die Keime trägt bereits heute laut Schätzungen jeder Dritte mit sich. Das ist auch eigentlich kein Drama. Gefährlich werden die resistenten Keime erst, wenn Menschen in ein Krankenhaus kommen. Wenn sie aufgeschnitten und operiert werden. Doch dann kann es lebensgefährlich werden.
Daniel Drepper vom erst im Sommer gegründeten Recherchebüro Correctiv erinnert sich noch an seinen ersten Kontakt mit dem Thema Krankenhauskeime.
Wir haben als wir hier im Sommer aufgeschlagen haben, eigentlich in den ersten Tagen als das Büro noch halbleer war, überlegt, dass wir gern etwas machen wollen zum Thema multiresistente Keime. Weil wir vorher, der David Schraven und ich zusammen mit dem Klaus Brandt von der WAZ schon einmal ein Projekt bei der WAZ bzw. der Funke-Mediengruppe gemacht hatten und das genau zu dem Thema, zum Thema multiresistente Keime und das war damals allerdings auf NRW beschränkt. Wir hatten aber das Vorwissen und uns war klar, okay das ist ein interessantes Thema, da steckt viel drin, da stecken auch Daten drin. Das ist etwas, was wir uns vorstellen können, deutschlandweit aufzuziehen. Und dann sind wir relativ schnell, nach ein paar Tagen, auf die Zeit zugegangen und haben gesagt, okay, das ist etwas größeres, das wird jetzt ein paar Monate dauern, habt ihr Lust da einzusteigen und die waren direkt begeistert und haben ihre Leute mit reingeschmissen und dann haben wir da angefangen. – Daniel Drepper von correctiv
Ausgangspunkt für die Geschichte sind Daten. Allerdings ist es in diesem Fall sehr schwer gewesen, an die richtigen Daten heranzukommen. Für Daniel Drepper und die Kollegen hat das sehr viel Zeit gekostet. Davon hat er gut drei Viertel seiner Zeit nicht vor dem Computerbildschirm verbracht, wie man das von einem Datenjournalisten vielleicht im ersten Moment erwarten würde, sondern mit Menschen. Telefonieren, persönliche Treffen, Vertrauen aufbauen.
Ich habe zum Beispiel Leute gehabt in Krankenkassen, die halt da sich mit Daten beschäftigen und die sich dann teilweise mit mir zusammen vor ihren Computer gesetzt haben und in ihrem Computer nachgeschaut haben, wie das eigentlich im System aussieht und welche Fehler da drin sein könnten und wie man mit diesen Daten arbeiten könnte. Und ohne die hätte ich überhaupt keine Chance gehabt, das überhaupt zu verstehen und überhaupt da etwas Sinnvolles draus zu machen. Deswegen habe ich eigentlich 80 Prozent mit Menschen zu tun gehabt und am Ende, die letzten 20 Prozent waren dann halt hier zusammen mit unserem Programmierer und Datenjournalisten Stefan Wehrmeyer, um das dann auch umzusetzen. – Daniel Drepper von correctiv
Insgesamt ist zu dem Thema Krankenhauskeime dann eine ganze Artikelserie mit mehr als 15 Artikeln erschienen. Das Team hat auch geschaut, wie resistente Keime entstehen und wo sonst in der Gesellschaft besonders viele Antibiotika verschrieben werden. Dabei ist ihnen aufgefallen, wie groß die Antibiotika-Industrie in Deutschland ist, vor allem in der Tierhaltung werden Tonnen von Antiobiotika verwendet.
Kai Biermann von Zeit Online hat dabei eine Zahl besonders beeindruckt. Sie beschreibt das Verhältnis von Mensch und Tier bei Antibiotika-Verschreibungen. Ein Drittel zu zwei Drittel.
Diese eine Zahl, dazu hatten wir eine kleine Graphik, die war Teil einer viel größeren Graphik, aber ich konnte diese eine kleine Graphik twittern und sagen, hier das hat mich beeindruckt und das zeigt für mich viel von dem Problem. Und das ist ein Zugang, eben für mich und dann auch sicher für andere, so hoffe ich zumindest. – Kai Biermann von Zeit Online
Die Journalisten betonen aber, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Antiobiotika bei Tieren und resistenten Keimen beim Menschen gibt.
Sascha Venohr, Kai Biermann Kollege bei Zeit Online, kann sich noch gut an die Schwierigkeiten mit den Daten erinnern. Im Fall der resistenten Keime hat dann ein neuer und noch nicht veröffentlichter Datensatz des Statistischen Bundesamtes entscheidend weitergeholfen.
Man recherchiert und es gibt einfach manchmal die Erkenntnis, es gibt diese Daten nicht. In diesem Fall hatten wir das Glück, dass es dann erstmals über Abrechnungsdaten der Krankenkassen diese multiresistenten Keimfälle uns zur Verfügung standen, wir so damit arbeiten konnten. Aber es ist ein Projekt, in dem sehr viel mit Tierbestandsdaten probiert wurde und so weiter und die teilweise überhaupt nicht da waren oder nichts aussagten. Wir haben aber die Grundhaltung, dass wir die Daten nicht soweit verbiegen, dass es am Ende irgendeine These belegt, sondern dann gibt es einfach diesen Datenaspekt nicht. – Sascha Venohr von Zeit Online
Am Ende ist dann eine interaktive Deutschlandkarte entstanden. Darauf kann jeder nach seinem eigenen Kreis und den Fällen vor Ort suchen. Sascha Venohr:
Wir können nicht erklären, warum es diese Fälle gibt, wir zeigen die Dimension und wir bieten unseren Leserinnen und Lesern an, zu sehen wie es denn bei ihnen vor Ort aussieht und wie viele Fälle es in ihrem Landkreis gibt. Das ist in dem Fall ein bisschen zurückgenommen die Daten. Natürlich hatten wir die Fantasie noch mehr auf Basis von Daten belegen und erklären zu können, das ist aber nicht die Grund-Charakteristik am Ende des Projekts gewesen. – Sascha Venohr
Die Journalisten haben sich vor allem an einem Phänomen die Zähne ausgebissen. Ein bestimmter Keim hatte ein sehr seltsames Verbreitungsmuster. Wenn man die Fälle auf einer Karte dargestellt hat, hat man einen Gürtel gesehen, der sich durch die Mitte Deutschlands zog. Die Journalisten haben darin sofort ein Muster erkannt und fragten sich, warum andere Keime anders verteilt sind.
Wir haben dann rumgebastelt, sind da vielleicht mehr Scheineställe, nee. Sind da mehr Krankenhäuser, nee, und fanden es nicht in den Daten. Experten sagten uns, wir wissen es auch nicht. Wir vermuten, können es aber nicht belegen, dass es etwas mit den Essgewohnheiten der Leuten zu tun hat, dass in diesen Bereichen mehr rohes Fleisch verzehrt wird. Aber wir wissen es nicht. Es gibt diese Daten nicht, die das erheben. Es gibt keinen Mettwurstatlas für Deutschland. Wir wissen auch nicht einmal, ob es stimmt. Es kann auch etwas völlig anderes sein, auf das wir bisher nicht gekommen sind. – Kai Biermann
Kai Biermann und seine Kollegen haben dieses Muster und die Daten nicht weiter genutzt. Womöglich ist die Häufung auch Zufall.
Kein Zufall waren jedoch die 113 Briefe von Bauern an die Redaktion. Denn der Brief war immer derselbe und beklagte die Berichterstattung über den Antibiotika-Einsatz bei Tieren und den Zusammenhang mit multiresisten Keimen bei Menschen. Biermann und Venohr vermuten hinter dem Brief Lobbyarbeit. Haben sie mit der Recherche doch einen großen Markt kritisiert. Ein Journalist der taz hat außerdem moniert, dass einige Zahlen nicht ganz korrekt seien und die Recherche aufgeblasen worden sei.
Dem widersprechen die beteiligten Redaktionen und betonen, dass sie Kritik ernstnehmen und Fehler korrigieren. Kai Biermann unterstreicht schließlich, er habe noch nie so viele Reaktionen auf eine Geschichte bekommen, wie mit dem Projekt zum Thema Krankenhauskeime.