2017 – das wird ein Jahr voller Wahlkämpfe. Donald Trump hat das Ganze sozusagen eingeläutet. Weiter geht’s mit den Niederlanden und Frankreich. Im Herbst wählen dann wir in Deutschland den neuen Bundestag. Vorher stehen noch Landtagswahlen an: im Saarland, in Schleswig-Holstein und in NRW. Mehr als genug Gründe also, sich mit dem Wahlkampf in digitalen Zeiten mal intensiver auseinanderzusetzen – und das tun wir in einer vierteiligen Serie in Kooperation mit der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.
Wahlkampf gewinnt man in den Köpfen. Alte Weisheit. Doch was früher Zeitung, Radio, Fernseher waren, das sind heute soziale Netzwerke. Was wir dort sehen – oder auch nicht sehen – das bestimmt unsere Sicht auf die Welt. Logisch also, dass der Kampf um die Köpfe in sozialen Netzwerken längst kocht. Und natürlich mischen dort auch alte Bekannte mit: Trolle nämlich. Das sind Menschen, die Diskussionen sprengen wollen. Einfach nur stören. Trolle gibt es, seit Menschen im Netz diskutieren. Früher in Foren und Diskussionsgruppen. Heute in sozialen Netzwerken.
Doch trifft die alte Wahrnehmung nicht mehr ganz zu. Denn immer öfter werden aus Trollen Evangelisten: Menschen, die nicht mehr nur stören wollen, sondern verbittert für etwas streiten und sich selbst wie auf einer Mission sehen. Die neueste Entwicklung in dieser Angelegenheit sind ganze Trollfarmen: hunderte Menschen, die von Auftraggebern für’s Stimmungmachen bezahlt werden. Kann all das gefährlich werden für eine Demokratie? Was macht das mit dem Wahlkampf und der politischen Diskussion? Der Frage gehen wir im dritten Teil unserer Serie nach.
Im vierten und letzten Teil unserer Serie beschäftigen wir uns dann morgen mit dem Phänomen „Microtargeting„.
Der Beitrag zum Mitlesen
19. Januar 2017. Washington D.C. Das National Press Building – kein kleines Gebäude – ist an diesem Abend gut gefüllt. Hier, auf dem „Deplora Ball“, tragen viele Jeans und T-Shirts. Auch die berühmten „Let’s Make America Great Again“-Basecaps. Der „Deplora Ball“ ist ein Treffen von Trollen und Stimmungsmachern. Hier feiern Menschen die Amtseinführung von Donald Trump. Und das wäre vielleicht nicht der Rede wert, wenn diese Menschen nicht eben unverhohlen ins Mikrofon von „This American Life“, einem der größten Podcasts der Welt, und damit in Millionen Ohren gesagt hätten:
We did it. We memed him into the presidency. We memed him into power. We shitposted our way into the future, because we directed the culture.
(Wir waren das. Mit unseren Memes. Wir haben ihn ins Amt gepostet. Wir haben die Debatten-Kultur bestimmt.)
Moment! Die Kultur bestimmt? Wie soll das gehen?
Trolle, Evangelisten, Influencer – was steckt dahinter?
Martin Fuchs berät Politikerinnen und Politiker in digitaler Kommunikation und sagt: so schwer sei das gar nicht:
Was beobachtet wurde in letzter Zeit, ist, dass es ein paar sehr sehr aktive Menschen gibt, von denen man angenommen hatte, dass sie Social Bots seien, die aber in der Tat 18 Stunden am Tag nix anderes gemacht haben, als in Kommentarspalten von Parteien und Medien zum Beispiel bestimmte Propaganda abzulassen.
Bots sind kleine Programme. Maschinen. Algorithmen. Klar, denen machen 18 Stunden am Tag nix. Aber Menschen? Wesen mit Humor und sozialer Intelligenz? 18 Stunden lang Memes basteln! GIFs! Bilder! Zitate, echte und unechte.
Fake-News! Jeden Tag! All diese Dinge, die sich in sozialen Netzwerken rasend schnell verbreiten. Mit den ursprünglichen Trollen habe das nicht mehr viel zu tun, sagt der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer von der FU Berlin:
Trolle ist natürlich ein ganz weiter Begriff. Der Ur-Troll ist ja wirklich nur der isolierte, durchgeknallte, der zuhause am Rechner sitzt und entweder Spaß daran hat, andere zu quälen, indem er Debatten zerstört. Oder jemand, der eine individuelle Mission hat. Interessanter wird’s jetzt im Kontext politischer Kommunikation eher, wenn sowas nur vorgetäuscht wird.
Wir kennen ja mittlerweile die russischen Trollfabriken, wo ganz gezielt Leute bezahlt werden, um in dieser Form zu agieren. Das wird ja verknüpft mit sowas wie Social Bots. Man kann den Impact solcher Kommunikation erhöhen, indem jeder Troll dann eben auch seine Bots losschickt. Man vervielfältigt dann die Kommunikation. Und insofern ist das natürlich ein Konzept, das sehr stark einen Nutzen zieht aus diesen ganzen digitalen Technologien, die es da so gibt.
Politikberater Martin Fuchs aber glaubt nicht, dass Trolle und Influencer gleich einen kompletten Wahlkampf drehen können. Zu hoher Aufwand. Zu hohe Kosten. Und klassische Trolle, die wollen ohnehin keinen Diskurs, sondern nichts anderes als stänkern:
Da gibt’s natürlich verschiedene Abstufungen und auch verschiedene Motivationsgrade, warum ein Troll trollt. Aber im Grunde genommen geht’s ihm darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen – er möchte keinen Diskurs, er möchte nicht, dass Diskussion über bestimmte inhaltliche Sachen passiert. Der Troll ist eigentlich ein klassisches Phänomen der Netzkultur. Das ist eine sehr sehr kleine, laute Minderheit. Ich würde mal sagen, das sind maximal zwei bis drei Prozent der Nutzer.
Das zeigen auch aktuelle Studien, die sich angeschaut haben: Wer kommentiert eigentlich auf den Nachrichtenseiten in Deutschland? Ein Beispiel bei Focus: Über 60 Prozent der Kommentare werden von zwei Prozent der Nutzer veröffentlicht und geschrieben. Und da muss man dann einfach lernen, dass Trolle gern ihre Podien suchen, wo sie Aufmerksamkeit möchten, und dass man die einfach nicht beachtet.
Das jedenfalls kann helfen, wenn man es mit klassischen Trollen auf der eigenen Seite zu tun hat.
Trolle, Influencer, Evangelisten – die Gefahr
Schwieriger aber wird es, wenn das Ganze zum sogenannten „Info War“ verkommt: dem Kampf um die öffentliche Stimmung. Mittlerweile hat sich auch das Stimmungmachen professionalisiert. Hinter den Kampagnen stecken keine Einzelpersonen mehr. Und auch keine Zusammenschlüsse von Einzelpersonen. Wir reden also nicht mehr über Trolle oder über Evangelisten – wir reden oft über sehr professionelle Anbieter, erklärt Markus Reuter, der sich bei netzpolitik.org unter anderem mit Fake News beschäftigt:
Das heißt, ich hab irgendwie eine Agentur. Da sind hundert Leute beschäftigt. Und die haben alle irgendwie 50 Fakeprofile. Und dann fangen die an, in meinem Sinne quasi Propaganda zu machen.
Also das war das, was diese russische Troll-Armee gemacht hat. Aber da gibt’s auch die 50-Cent-Army in China, da gibt’s aber auch vom britischen Geheimdienst und von der CIA Einheiten. Die machen dann Blogs und versuchen da, Meinungen zu beeinflussen und zu kommentieren. Das ist natürlich auch stärker oder besser zu steuern als mit Bots. Weil ich da wirklich Menschen habe, die versuchen, Einfluss zu nehmen.
Trolle, Influencer, Evangelisten – Wie wirkt das auf mich?
Klingt alles weit weg? Schön wär’s. Die EU hat 2015 eine eigene Taskforce gebildet: „Strategisches Kommunikationsteam Ost“. Deren Prognose nach der Auswertung von mehr als 2.500 Meldungen: Das wird noch schlimmer. Man rechnet unter anderem mit einer strategischen, gezielten Desinformationskampagne gegen Merkel.
Auch der Verfassungsschutz hat im Dezember gewarnt, Russland könne durch öffentliche Stimmungsmache den Bundestagswahlkampf beeinflussen. Und das gefährde mehr als nur den Wahlkampf, warnt der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer:
In einer Öffentlichkeit gibt’s immer gewisse Anforderungen an das Gegenüber, die man dem Gegenüber erst mal unterstellen muss. Man muss ihm unterstellen, dass er das, was er sagt, auch meint. Also: Wahrhaftigkeit, Wahrheit, Richtigkeit, das man auf einem gemeinsamen Wertefundament steht. Das sind alles Voraussetzungen dafür, dass man in so einen Kommunikationsprozess, der ja am Ende auch zu einer Klärung führen soll, einsteigen kann.
Diese Voraussetzungen für Kommunikation sind streng genommen überhaupt nicht gegeben, wenn ich’s mit solchen Trollen oder Bots zu tun habe, weil da die Motive, die Interessen, auch die Richtigkeit von Fakten überhaupt nicht klar sind – im Gegenteil: ganz gezielt manipuliert sind. Insofern: Je größer der Anteil solcher Beiträge in einer öffentlichen Debatte ist, umso stärker wird natürlich Öffentlichkeit generell infrage gestellt.
Trolle, Influencer, Evangelisten – Hilft ein Verbot?
Was also tun? Verbieten? Liegt ja nahe. Und ist auch so schön einfach. Bringt aber nix, glaubt Martin Emmer:
Ich glaube nicht daran, dass man mit Verboten oder staatlicher Kontrolle da viel erreichen kann. Man kann sich natürlich durchaus Gedanken machen über bestimmte Normen. Wir haben ja in Deutschland auch ganz gute Erfahrungen mit sowas wie Selbstverpflichtungen, Selbstregulierungen. Es gibt ja nicht viele gesetzliche Regeln für Medienkommunikation in Deutschland. Sehr viel mehr wird da wirklich über öffentlichen Druck, über Selbstverpflichtung, über öffentliche Thematisierung geregelt. Das kann man durchaus versuchen.
Es gibt ja schon erste Versuche, zum Beispiel, dass sich die Parteien verabreden, für den kommenden Wahlkampf auf bestimmte Technologien zu verzichten. Das halte ich erst mal für sinnvoll. Und ansonsten brauchen wir eine robuste und starke Öffentlichkeit, die sich eben nicht so leicht verunsichern lässt. Und die weiterhin ihre Werte hochhält. Und die solche Probleme offensiv thematisiert, und sie damit auch ihrer Wirksamkeit zum großen Teil beraubt.
Mit anderen Worten: das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Medien. Kultur. Politik. Sportverbände. Unternehmen. Musik und Kunst. Sie alle müssen dafür sorgen, dass wir dieses Thema nicht aus den Augen verlieren. Das kann gelingen – doch an der Stelle liege der Ball zunächst mal im Feld der sozialen Netzwerke, findet Karolin Schwarz. Sie ist einer der Köpfe hinter dem Projekt „hoaxmap“, einer Deutschlandkarte, auf der widerlegte Gerüchte über Geflüchtete gesammelt werden:
Es gibt ja tatsächlich schon gesetzliche Regelungen, die da greifen. Es muss aber auch durchgezogen werden. In vielerlei Hinsicht müssen Plattformbetreiber an der Stelle ansetzen und auf Meldungen reagieren. Die Prozesse auch durchsichtiger machen, meine Meinung nach – zumindest bei Facebook ist das ja oft nicht nachvollziehbar. Twitter macht halt einfach gleich gar nichts; das ist dann irgendwie nachvollziehbar, aber teilweise so schwierig, dass sich einzelne User wegen des ganzen Hasses von der Plattform verabschieden.
Trolle, Influencer, Evangelisten – Was lernen wir daraus?
Das sind keine einzelnen Freaks mehr. Sie sind mächtig. Daran müssen wir uns gewöhnen. Und das müssen wir ernst nehmen. Die Mechanismen aufdecken. Nur braucht das seine Zeit. Umdenken und Neu-Lernen, das geht selten auf einen Schlag. Und vor allem passiert es im Stillen. Anders als die Arbeit der Trolle:
Das sind natürlich Menschen, die sehr laut sind. Die teilweise auch dafür sorgen, dass sich andere Menschen nicht mehr zu Wort melden im Netz. Und darüber erhalten natürlich noch mehr Menschen den Eindruck, das wär‘ eben die Mehrheit. Das ist eine Vergiftung des Klimas im Netz, in den Kommentarspalten, in den sozialen Netzwerken, die sehr problematisch ist.
Nichtsdestotrotz muss der einzelne User auch schauen, dass er sich gegen Hass auch schützen kann. Natürlich erfordert das auch ein Stückchen Mut. Und nicht jeder kann sich diesem Hass auch aussetzen.
Aber ich denke: so insgesamt braucht’s da mehr Solidarität – und wenn man eben nur bei Facebook gute Kommentare und aufklärende Kommentare liket. Dann ist das schon auch ein Stückchen Unterstützerschaft für den einzelnen, der schon aktiv ist. – Karolin Schwarz von „Hoaxmap“