Hier ist der Antritt, der Fahrrad-Podcast vom Podcast Radio detektor.fm. Und ich bin Christian Bollert. Ja, wir haben es ja schon angekündigt. Gerolf ist gerade im wohlverdienten Sommerurlaub. Aber das heißt natürlich nicht, dass es keine neuen Episoden hier in diesem Podcast gibt. Das wäre ja noch schöner! In den nächsten beiden Ausgaben übernehme also einfach ich hier das Mikrofon. Finde ich irgendwie auch ganz schön. Es ist auch ein bisschen kühler hier im Studio, wenn ich hier ganz alleine bin und nicht mit zwei Personen. Und ich bin ja auch wieder zurück aus meinem Urlaub. Und ich muss zugeben, dieser kleine, aber feine Fahrrad-Podcast hier, der hat mir ein bisschen gefehlt. Fast genauso wie das Fahrradfahren an sich. Auch wenn ich in Kopenhagen zumindest mal einen Nachmittag lang mit einem Lastenrad durch die Gegend geballert bin. Das war irgendwie sehr schön. Aber ich freue mich sehr, wieder hier zu sein und hier durch den Antritt führen zu dürfen. Lass uns doch einfach direkt starten, denn in dieser Ausgabe hier gibt es ein, wie ich finde, sehr bewegendes Gespräch zu einer, ja, und das muss ich auch so persönlich sagen, aus meiner persönlichen Sicht wirklich bemerkenswerten Aktion, über die wir hier im Podcast auch schon im Januar gesprochen haben. Es geht nämlich um das Ziel, zehn Krankenwagen aus Deutschland mit einem Fahrradkonvoi in die Ukraine zu bringen. Und das ist jetzt passiert in diesem Sommer. Und darüber müssen wir reden. Die Krankenwagen sind mittlerweile nämlich angekommen in der Ukraine. Und das ist unser Thema in dieser Episode Antritt, der Fahrrad-Podcast von detektor.fm. Das Schöne am Podcast ist es ja, dass alle Folgen für immer im Internet verfügbar sind, zumindest so lange wie die Server online sind. Aber das gibt uns auch die Möglichkeit, einmal bei Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern nachzuhaken und zu fragen, was eigentlich seitdem passiert ist. Bei einer Aktion haben Gerolf und ich das uns schon Anfang des Jahres vorgenommen, nämlich beim Chain Reaction Bike Konvoi for Ukraine. Denn das Team hat monatelang dafür gearbeitet, möglichst viele Rettungswagen aus Deutschland in die Ukraine zu bringen, damit sie dort im Osten und im Süden des Landes, wo der russische Angriffskrieg ja leider besonders harte Folgen für die Bevölkerung hat, helfen können. Vor ein paar Wochen sind nun die Rettungswagen im Westen der Ukraine in Lviv an die ukrainischen Partner übergeben worden. Und ich freue mich sehr, dass ich mit Sebastian Herrmann einem der Initiatoren über diese Lieferung und den Weg dahin sprechen kann. Ich sage willkommen zurück im Antritt, Sebastian. Ja, vielen, vielen Dank, dass ich nochmal wahrlich sein darf. Das freut mich sehr. Ja, sehr, sehr gern. Ihr seid ja auch durchaus erfolgreich gewesen. Als wir nämlich Anfang des Jahres hier gesprochen haben, hattet ihr, glaube ich, gerade zwei Krankenwagen finanziert und habt so auf eine zweistellige Zahl gehofft. Am Ende sind es 14 Rettungswagen geworden. Und es ist jetzt ein guter Monat her, dass ihr die Rettungswagen wirklich in die Ukraine gebracht habt. Wie blickst du denn jetzt mit ein bisschen Abstand zurück auf die Aktion? Oh, das fühlt sich noch gar nicht so sehr an, als wäre das ein großer Abstand. Wir sind jetzt zwar seit knapp vier Wochen wieder zu Hause, aber das war alles so intensiv, dass ich, und ich glaube der andere Sebastian, der Andi und der Chris, wir vier von Kernteam immer noch damit beschäftigt sind, uns wieder so ein bisschen zusammenzusetzen. Auch weil es, also auch die ganze Vorbereitung, du hast es eben gesagt, wir haben da monatelang dran gearbeitet, also fast ein Dreivierteljahr. Und das war ja auch ein vermessener Plan. Wir hatten ausgerufen, dass wir zehn Rettungswagen finanzieren wollen. Dafür hätten wir so was wie 186.000 Euro gebraucht. Das hatten wir kalkuliert. Und ganz ehrlich, als wir das ausgerufen haben, ist die Frage, ob wir da selber dran geglaubt haben. Das war im Nachhinein jein. Also irgendwie ja und irgendwie auch nicht. Es war ein sehr, sehr hoch gestecktes Ziel. Aber wir hatten auch gedacht: Mensch, also wir Radfahrer kennen das doch. Wir wollen uns schöne Ziele stecken. Große Ziele hören sich besser an als kleine Ziele. Und sozusagen, wir wollen so viele Krankenwagen wie möglich finanzieren oder drei oder so was. Das regt die Fantasie nicht an, auch unsere Fantasie nicht. Und dass wir es tatsächlich geschafft haben, das zu übertreffen, ist nach wie vor überwältigend. Wobei es auch immer komisch ist, bei so einem Hilfsprojekt davon zu sprechen, dass man überwältigt von seinem Erfolg ist. Aber nun, so ist es. Wir haben es geschafft, mit knapp 100 Leuten, die mit uns in München aufgebrochen sind am 5.7., mit 14 Krankenwagen bis in die Ukraine zu fahren und die dort zu übergeben. Und wie dringend nötig diese Wagen dort sind, haben wir auch am Vorabend vor der Übergabe erleben müssen. Da gab es einen großen Luftangriff und wir saßen alle im Keller, im Luftschutzkeller. Zusammen mit, da gibt es ein Bild, das war ein kleiner Junge, der war vielleicht 8 oder 9 Jahre alt. Der saß da und hat gefühlt stundenlang starr an die Wand geguckt und sich sein Kuscheltier festgeklammert. Ja, sowas nimmt man dann da auch mit. Ja, das sind natürlich eindrückliche Erlebnisse. Ja, das ist echt auch als Journalist ehrlicherweise schwer zu fragen. Aber die Frage es klingt auch immer so doof: Wie hast du dich da gefühlt? Aber ich meine, das ist ja dann wirklich fast schon symbolisch. Am nächsten Tag habt ihr die Dinger übergeben. Ganz ehrlich, ich war einfach nur sauer. Also diese Fahrt, speziell die knapp zwei Tage, die wir dann am Ende in der Ukraine waren, das war so intensiv in alle Richtungen. Also es war traurig, man hat immer wieder irgendwie so das Gefühl, dass ich ständig nah am Wasser gebaut bin. Und gleichzeitig kippt es dann auch wieder in so eine Euphorie, wenn wir dann am ersten Abend in dem Lager, wo wir die Wagen abgegeben haben, zunächst, da gab es dann ein Grillfest und große Reden und es gab Bier und die kamen mit ihrem selbst gebrannten Schnaps oder ich weiß gar nicht, ob er selbst gebrannt war. Aber dann ist man so ein bisschen, dann kippt es in die Euphorie und man kann auf einmal irgendwie lauter durcheinander schreien und Unsinn reden als sonst. Und im nächsten Moment kommt ein Luftangriff, der einen dann nachts um zwei aus dem Bett schmeißt, also beziehungsweise der Luftalarm. Und ich saß dann ehrlich gesagt erst mal im Keller und war nur wütend. Was soll das jetzt? Ich will schlafen. Und dann sitzt da dieser Junge und er gibt die Wut in Richtung: Das darf nicht sein, das kann doch nicht sein, dass hier die Kinder mit uns im Keller sitzen. Und für die ist es der Alltag. Für uns ist es nur ein einziger Tag und es ist ein einziges Gefühlsdurcheinander, ehrlicherweise. Am nächsten Tag haben wir dann die Rettungswagen direkt am Rathaus von Lviv übergeben mit einer kleinen Zeremonie. Da waren dann auch die ganzen Einheiten und Sanitäter vor Ort, die die Wagen dann direkt in Empfang genommen haben, die die Wagen einsetzen. Da war es ähnlich. Das ist dann natürlich irgendwie ergreifend, wenn man da steht und erst mal diese 14 Wagen einrollen und man den Leuten die Hände schütteln kann, die dann diese Wagen fahren und mit denen hoffentlich vielen Menschen helfen können. Und direkt danach kam ein Trauerzug vorbei mit drei gefahrenen Soldaten, die auf der anderen Seite des Rathauses angehalten haben. Da stand dann ein Mann und hat eins am Trompete gespielt. Und es ist dort üblich, dass wenn ein Beerdigungszug mit Gefallenen vorbeikommt, dass alle, die auf der Straße stehen, auf die Knie gehen. Dann waren wir da alle, weiß ich nicht, gefühlt zehn Minuten auf den Knien und man sieht die Angehörigen, die Frauen und Kinder der Toten in den Wagen. Und da waren dann noch Busse mit den Kameraden von denen. Man sieht all diese Gesichter, man sieht den Schmerz. Und später waren wir dann auch auf dem Maasfeld, heißt es. Das ist ein Friedhof, ziemlich in der Innenstadtnähe, wo nur die Gefallenen aus der Lviv Innenstadt bestattet werden. Und da war ich das erste Mal vor anderthalb Jahren. Und so wie es aussieht hat sich dieses Maasfeld seitdem verdoppelt. Da liegen Hunderte und es kommt immer wieder jemand dazu, die ganze Zeit. Und das nimmt mich einfach mit. Und daraus ist auch irgendwie dieser Drang entstanden, was zu tun im Rahmen dessen, was wir tun können oder was jetzt in dem Fall wir vier tun können. Ich muss ehrlicherweise sagen, wenn man jetzt in einem Podcaststudio in Deutschland steht, dann ist das irgendwie unbegreiflich. Also ich finde das sehr, sehr plastisch, wie du das beschreibst, diese Zerrissenheit und diese diversen Gefühle, die da sind. Und wie du sagst, dass du dich da irgendwie immer noch wieder zusammensetzen musst, kann ich irgendwie sehr, sehr nachvollziehen. Es ist ja auch für dich nicht die allererste Aktion. Also du warst ja auch beim Kulturkonvoi, hast du auch mitgeholfen und so. Trotzdem, jetzt mit den 14 Wagen, das ist, glaube ich, schon wirklich, du hast es gesagt, ihr habt am Anfang auch nicht unbedingt daran geglaubt, dass ihr die 10 schafft. Jetzt habt ihr 14. Das ist schon krass. Absolut! Also das ist dann auch wirklich das Positive oder was ich mitnehme, das was mir Hoffnung gibt, dass wir jetzt auch im vierten Jahr dieses Krieges verstehen, genug Menschen oder es verstehen sehr viele Menschen, worum es da geht. Und es sind sehr viele Menschen, die helfen wollen und die auch die Hilfe anbieten, die uns geholfen haben, eben mit großzügigen Spenden. Das waren Einzelpersonen, die teilweise wirklich großzügige Beträge gespendet haben. Wir hatten Stiftungen, wie zum Beispiel die Harald Christ Stiftung für Demokratie, die sehr großzügige Einzelspenden gemacht haben. Aus der Fahrradbranche kam viel. Wir haben zum Beispiel Trikots gestaltet und die hat Rose für uns verkauft. Wir haben, glaube ich, 450 Trikots verkauft. Pro Trikot gingen 50 Euro an die Initiative. Also sowas gibt mir Mut. Und auch unterwegs. Wir sind ja in sechs Tagen bis an die polnisch-ukrainische Grenze gefahren, in Etappen. Die ersten zwei Etappen waren jeweils 165 Kilometer lang und die vier danach alle zwischen 220 und 260. Und an allen Etappenorten haben wir unglaubliche Unterstützung bekommen von Rotary Clubs, von Rotem Kreuz. Von der Stadtverwaltung in Prerow in Tschechien, von den Stadtverwaltungen in Krakau und Jämysl. Wir haben überall durften in Turnhallen schlafen. Wir haben teilweise Essen bekommen von den Helfern vor Ort. Besonders ergreifend fand ich es auch zum Beispiel in Krakau und in Jämysl, wo wir morgens vom deutschen Generalkonsul, der auch dann 100 Kilometer mit uns mitgeradelt ist, und den Vertretern von der Stadtverwaltung und Bürgermeister begrüßt worden sind. Und es gab Reden und so weiter. Also so dieses, ich komme ja immer noch, ich kenne Polen nicht besonders gut. Ich habe es jetzt in den letzten Jahren im Zuge der Ukraineraktion erstmal so ein bisschen kennengelernt. Ich muss gestehen, ich habe mich glaube ich auch fast ein bisschen verliebt. Und trotzdem ist da immer noch so dieses, als Deutschland nach Polen kommen, da schwingt halt immer noch so dieses, ja, gerade rund um Krakau. Ja, wir sind auch an Auschwitz direkt vorbeigeradelt an dem Tag. Es war ein fürchterlicher Tag, es hat die ganze Zeit geregnet und geschüttet wie verrückt. Und dann kommt man nach 180 Kilometern an diesem Schreckensort vorbei. Und auch das nimmt einen mit. Und dann zusammen mit den Polen oft eingeladen zu werden in einer Turnhalle zu schlafen, eingeladen zu werden, sich zu Wort zu melden. In Dzemisel haben sie dann darauf hingewiesen, dass sie extra für uns auf dem Rathaus die deutsche Flagge aufgezogen haben. Wo ich normalerweise bin ich gar nicht empfänglich für solche Symbolik. In dem Fall denke ich: Wow, doch, das ist ein Schritt, das ist was Tolles, danke. Also diese Dankbarkeit ist auch ein bisschen Europa, ne? Ja, genau, darum ging es ja auch. In Tschechien in Prerov, die haben uns einfach den Schlüssel zu einer ganzen Schule gegeben. Da ist die Küche, da sind die Duschen, ihr könnt in den Klassenzimmern schlafen, ihr könnt in den Turnhallen schlafen, sucht euch was. Servus, wir sehen uns morgen. Wahnsinn, oder? Großartig! Ja, und ich meine, Tschechien hat ja auch eine schwierige Vergangenheit mit den Deutschen. Also muss ich sagen, ich bin wirklich auch selber ein bisschen angefasst, wenn du das so erzählst, was du natürlich auch sehr, sehr gut kannst. Dann merkt man schon, dass das eine besondere Fahrt war. Also das war nicht irgendwie Halligalli. Wie war denn so die Stimmung, als ihr da losgefahren seid? Und hat sich das auf der Tour irgendwie verändert? Ja, das hat sich sehr verändert. Wir haben auf der Theresienwiese in München eine Demonstration angemeldet gehabt und hatten dort die 14 Krankenwagen aufgestellt. Dann kam der Kilian Unger, der auch beim Kulturkonvoi dabei war. Das ist ein Musiker, der einen Laienchor, den Lost and Found Choir in München leitet. Und die haben drei Lieder für uns gesungen und der Kilian hat dazu auf dem Keyboard gespielt. Wir haben ein paar salbungsvolle Reden gehalten und dann sind wir aufgebrochen mit vorneweg die Polizei, dann sieben Krankenwagen, dann ungefähr 300 Leute auf dem Fahrrad und Abschluss nochmal sieben Krankenwagen. Links und rechts waren Polizisten auf dem Motorrad und dann sind wir da als großer Demonstrationszug durch München über die Isar auch zum Säbener Platz, wo es in den Perlacher Forst reingeht. Für alle die nicht in München Rennrad fahren, der Perlacher Forst ist sowas wie die Rennradautobahn aus München raus. Da haben wir unsere Demo aufgelöst und sind dann losgefahren. So ein bisschen wie die Havelchaussee in Berlin, vermutlich. Ja, genau. Und da waren dann auch noch sehr viele bekannte Freunde dabei, die einfach ein Stück mitgefahren sind. Und das war dann ehrlich gesagt auch ein bisschen wie eine große Klassenfahrt. Nachdem wir losgefahren sind, es war wahnsinnig heiß. Ich habe nach 100 Kilometern Krämpfe in den Oberschenkeln gekriegt und habe gedacht: Oh weia, das kann ja was werden, dass danach vier Tage lang zehn Grad haben und Dauerregen. Damit hatte ich irgendwie nicht auf dem Schirm. Aber das war dann so Klassenfahrcharakter. Und dann waren wir in Eggenfelden in Niederbayern, wo uns zwei Rotaryclubs wirklich unfassbar toll bewirtet haben. Die haben uns 90 Leute ins Wirtshaus eingeladen, die haben Frühstücksbuffet gemacht, die haben uns mit Riegeln ausgestattet. Sensationell! Und wir haben dann ehrlicherweise am Abend auch ein bisschen Bier getrunken. Bleibt vielleicht nicht aus, ja. Nein, also an dem Abend habe ich noch gedacht: Oh, jetzt muss man aufpassen, dass wir nicht jeden Abend so viel Bier trinken, weil wir haben ja auch echt was Anstrengendes vor uns. Aber am Ende habe ich gemerkt, man kann schon auch jeden Abend ein bisschen Bier trinken und trotzdem Rad fahren. Aber du hast gesagt, die Stimmung hat sich dann verändert. Ja, bis Linz. In Linz sind dann sehr viele ausgestiegen. Es sind sehr viele dabei gewesen, die von Anfang an ein paar Etappen mitgefahren sind. Dann von Linz nach Wien hat es die Hälfte der Zeit geschüttet. In Wien hatten wir nochmal so einen kleinen lustigen Moment. Da hat uns ein Rotaryclub der Rotaryclub International, die haben uns im Schottenstiftgymnasium untergebracht, mitten in der Innenstadt. Es ist der Bezirk, so ein katholisches Gymnasium. Das ist irgendwie seit jetzt, jetzt rede ich ins Blaue, aber es geht um die Größenordnung, so seit dem 15. und 16. Jahrhundert. Und da kamen wir dann an, zu fünft in unseren Trikots, komplett eingesaut von 120 Kilometer Regen und dann von 100 Kilometern schwüle Hitze. Und die wollten dann gerne, dass wir auf deren Clubabend, die hatten in einem Abend nämlich eine Clubveranstaltung im Hotel Sacha, dass wir da noch schnell hinkommen und kurz ein paar Worte sagen, dass die anderen im Verein merken, was die da für ein Projekt unterstützen. Und dann sind wir so komplett eingesaut in dieses Hotel Sacha gekommen, was ja wirklich so im Begriff des barocken Luxus ist. Ein schönes Bild, ein schönes Bild. Die hatten da gerade fünf Gänge Menü und dann standen wir da dazwischen und ich musste auf Englisch eine kurze Ansprache halten. Und dann haben wir Wimpel und Medaillen ausgetauscht und so ein Zeug. Das war so ein alberner Moment für uns Fünfradfahrer, weil wir haben uns gefühlt wie in das Boot. Da gibt es so eine Szene, wie sie dann mal in, ich glaube, in Burgolf von der Biscaya auftauchen und auf so ein Kreuzfahrtschiff gehen, das sie dann versorgt mit Treibstoff. Und da sind dann diese zerrupften, haarigen, verlotterten Typen aus dem U-Boot, die auf die feine Gesellschaft stoßen. So haben wir uns ein bisschen gefühlt. Wenn das als Referenz gilt. Und ab Wien wurde das Wetter richtig garstig. Also mit zwei Tagen Dauerregen und Gegenwind. Und das kennt ihr bestimmt vom, wir fahren in der Gruppe. Fahrer, wie sehr sowas zusammenschweißt, wenn man gemeinsam durch sowas durchgeht. Was auch immer komisch ist in so einem Kontext, da irgendwie seine Leiden in Forderung zu stellen. Aber so ist es nun mal. Wenn man 260 Kilometer Rad bei 10 Grad und Dauerregen fährt, dann leidet man halt vor sich hin. Und wenn man dann am Abend in der Turnhalle aufschlägt und die Gruppe die dann über den Tag in kleinen Grüppchen fährt, wieder alle trifft, und alle sind müde und alle sind dreckig und alle freuen sich auf die heiße Dusche und alle haben Durst auf ein Bier und alle freuen sich aufs Essen. Das schweißt einfach wahnsinnig zusammen. Und ich glaube, der Höhepunkt der Gruppenintensität war dann, als wir am letzten Tag über die Grenze sind. Da waren wir noch 28 Leute, also 28 Radler. Und sind hinter der Grenze vom Westroad Cycling, einem Rennradclub aus Lviv empfangen worden. Fünf Leute hatten die geschickt und dann gab es eine Polizeieskorte, ein Polizeiauto, das vorne weg fuhr. Dann wir 28 Radler plus die fünf Ukrainer. Hinten weg der Bus, den die mitgebracht haben, so eine Art Teambus. Und dann sind wir doch die 80 Kilometer nach Lviv reingefahren. Da gab es auch einen Moment, wir haben uns ja oft die Frage gestellt: Ist es richtig? Ist es vermessen, in ein Kriegsgebiet mit dem Fahrrad zu fahren und sowas zu organisieren? Und in der Ukraine selbst haben viele, mit denen wir darüber gesprochen haben, die Frage gar nicht verstanden. Was soll es? Ihr bringt Rettungswagen. Was sind das für eine Frage, die ihr stellt? Und so ein bisschen richtig annehmen konnte ich das, glaube ich, auch nach einem Gespräch mit einem dieser fünf Leute, die uns da begleitet haben. Roman heißt der. Der ist Mitte Ende 20, war an der Front und stammt eigentlich aus Kiew. Er ist mit seiner Freundin nach Lviv gekommen, um irgendwie wieder ins Leben zu finden, weil er in einem Fahrzeug war, das von einer Rakete getroffen wurde. Und die meisten seiner Mitfahrer waren tot und er war verletzt. Ich weiß nicht genau was, aber er war wohl schwer verletzt. Und der findet nicht ins Leben zurück. Der hat es so nüchtern gesagt: Er hat gesagt: I have problems concentrating. Er kann sich nicht mehr konzentrieren, also wahrscheinlich halt problematische Belastungsstörungen oder sowas. Das einzige, was ihm hilft und was er jeden Tag macht, wir folgen uns seitdem auf Strava, der fährt jeden Tag Rennrad. Das hilft ihm irgendwie, die rasenden Gedanken im Kopf ein bisschen zu sortieren und so langsam aber sicher wieder einen Zugriff aufs Leben zu kriegen. Und wenn man dann sowas erlebt, dann denke ich: Was war das für eine Frage? Also natürlich haben wir uns die Frage gestellt, und das ist ja auch gut so. Ist das richtig? Aber am Ende ging es einmal darum: Ja, wenn wir das nicht machen, weil wir halt Radspinner sind, ist das die Blase, in der wir uns bewegen können. Wenn wir das nicht machen, gibt es keine Rettungswagen, die wir bringen können. Zum anderen ist es eine Leidenschaft, die wir teilen mit den Ukrainern, die wir vor Ort getroffen haben. Und es ging um Sichtbarkeit und das ist ja, glaube ich, auch gelungen mit den ganzen Begegnungen an den Etappenorten, den ganzen Reden. Ich habe noch nie so viele Reden gehalten in so kurzer Zeit. Aber am Anfang war ich aufgeregt. Am Ende hat es mir Spaß gemacht. Ja, also so wie du das beschreibst, scheint es ja wirklich so zu sein, dass diese letzten 80 Kilometer dann auch wirklich, ohne es jetzt übertreiben zu wollen, aber auch schon sehr, sehr bewegend, gänsehautmäßig waren. Auf jeden Fall, auf jeden Fall. Einmal, weil das Ziel auf einmal nahe war. Also das Ziel, auf das wir monatelang hingearbeitet haben. Die Begegnungen, auch kleine Hochmomente. Lviv ist eine wunderschöne Stadt, aber die ist auch vollkommen verstopft. Da sind wahnsinnig viele Menschen, die aus dem Osten dorthin geflohen sind. Immer komplett verstopfter Verkehr. Und dann hat diese Polizeiwagen uns einfach so wie Moses das rote Meer, haben die uns den Verkehr zerteilt und wir sind da einfach durchgedonnert. Das ist schon auch ganz geil gewesen. Ja, und auch die Mitfahrer, da waren so großartige Leute dabei, die von überall her kamen. Unter anderem viele, weil sie unsere erste Podcast-Folge gehört hatten. Ganz viele haben gesagt: Ich habe das im Antritt-Podcast gehört und sofort gewusst, da muss ich dabei sein. Die kamen aus Berlin, aus Bremen, aus Hannover, aus Düsseldorf, aus Frankfurt, Stuttgart, Freiburg, viele aus München natürlich. Aber dass wir so eine Gruppe waren aus ganz Deutschland und auch einer aus Finnland. Großartig! Und ich glaube, es hat wirklich jeder, der auch am Ende in Lviv dabei war, hat was mitgenommen. Die jetzt auch weiter mit Bamberg UA, dem Verein, mit dem wir das gemacht haben, in Kontakt stehen. Die ihrerseits irgendwas auf die Beine stellen oder längst schon was tun. Es war ein Lehrer aus Bremen dabei, der Kinder aus Lviv, ich meine über Zoom oder irgendwas, unterrichtet. Es war einer dabei, der dann weiter nach Dnipro gefahren ist, wo er zum wiederholten Male Rettungsfahrten gemacht hat oder wieder macht. Also da habe ich dann schon das Gefühl bekommen, dass wir tatsächlich so ein bisschen eine Kettenreaktion gestartet haben, was ja so im Namen steckt und was Teil der Idee war und dass es jetzt auch irgendwie weitergeht. Seid ihr auch nach wie vor verbunden? Also die Leute, die durchgefahren sind und auch die, die vielleicht ja nur die ersten Etappen gefahren sind. Habt ihr da jetzt irgendwie eine Signalgruppe oder irgendwas? Ja, also halt ganz klassisch eine WhatsApp-Gruppe. Und da kommt immer mal wieder was rein. Also so, irgendjemand findet was oder jemand ist selber mit dem Rad unterwegs oder will nur irgendwie ein bisschen Blödsinn posten. Ja, das bleibt. Da hat sich was ergeben. Klingt wirklich so, als ob da so eine kleine Gemeinschaft auch entstanden ist. Finde ich sehr, sehr schön und natürlich toll, dass wir hier auch einen kleinen, aber feinen Beitrag dazu leisten konnten, dass da Leute auch irgendwie mitgemacht haben. Jedenfalls, es war ein Hoch auf die Fahrrad-Community, muss ich auch nochmal sagen. Also ist es so toll, was möglich ist, wenn man überlegt: Wen kenne ich denn eigentlich und was mache ich denn und was kann ich im Rahmen meiner, ich sage jetzt mal, meiner Leidenschaft denn eigentlich tun? Also wir sind halt Fahrradspinner und da kennen wir ganz viele. Und wenn man dann sich so einen Plan oder so eine Idee verliebt, dann fallen auch einmal ganz viele Leute ein, die man fragen kann. Man braucht ja immer eine konkrete Idee oder irgendwas, was man will von den Leuten, damit man auf die zugehen kann. Wenn man keine konkrete Idee hat, ja was will ich denn dann? Und so haben wir gemerkt, was wir eigentlich für ein unfassbares Netzwerk haben. Aber man braucht halt einen Grund, um dieses Netzwerk anzufassen oder anzutippen und dann geht was. Die übergeordnete Erzählung für mich ist auch so dieses: Lieb am Radfahren. Du musst halt nur irgendwie den Mut haben, dich in den Sattel zu setzen und loszufahren. Dann passiert was, dann kommt man irgendwo an und es wird auch sakrisch anstrengend unterwegs. Aber dann sind wir im Abenteuer, dann geht was, dann kann man weiterfahren, dann muss man auch weiterfahren, wie auf so einer langen Tour, wenn man irgendwie… Wenn es regnet, dann ja. Ja, genau, was willst du machen? Willst du dich irgendwie… In den Straßengraben werfen und weinen? Ja, kann man tun, aber hilft halt dann auch nicht weiter in der Situation. Dann musst du das halt irgendwie durch. Und dann macht es auch wieder Spaß, und dann kommen auch wieder die großen Momente. Und das war jetzt auch mit dem ganzen Projekt so. Und genau, ein Punkt, der uns immer am Herzen lag, ist: Hey, dieser Krieg ist so nah, da kann man in wenigen Tagen mit dem Fahrrad hinfahren. Das ist schon auch ein echt wesentlicher Punkt für mich. Das geht uns an, da kannst du mit dem Fahrrad hinfahren. Und das hat mir auch etwas ausgemacht. Du hast den Roman beschrieben, der da mitgefahren ist von dem Fahrradclub. Habt ihr denn auch weiterhin noch Kontakt? Also wisst ihr zum Beispiel, wo die Wagen jetzt eingesetzt sind? Zum Teil ja. Das ist sehr abhängig von den einzelnen Einheiten, die die Wagen fahren, wiefern da Feedback kommt. Also, wir haben erste Fotos bekommen. Ich meine, das eine kam aus der Region von Tschakiv und das andere bei Kersonn. Also, das kommt, das tröpfelt gerade noch so ein bisschen. Das ist ein recht ausgeklügeltes und auch hochbürokratisches System, nach dem diese Wagen verteilt werden. Also, die Einheiten, die sowas brauchen, die müssen das zentral beantragen und irgendwie nachweisen, welchen Bestand an Fahrzeugen sie haben. Und dann können sie einen Bedarf quasi damit feststellen lassen und sich dann bewerben. Und dann kommen sie darüber an diesen Wagen. Aber natürlich haben die teilweise, das heißt, teilweise auf deren Prioritätenliste steht das natürlich verständlicherweise relativ weit unten, da diesen Leuten aus Deutschland regelmäßig Bilder und Videos zu schicken, weil die haben gerade andere Probleme. Aber diese Fotos kommen immer mal wieder. Manchmal also, wir hatten auch mal irgendwie eine Zersprung im Rahmen vom Kulturkonvoi. Da gab es dann ein Video von denen, die in der Nähe von Kersonn einen Gasengeladenwagen gefahren haben. Die haben uns da für ein paar Minuten mitgenommen. Also, es gibt Feedback, ja. Jetzt hast du das am Anfang, finde ich, sehr plastisch beschrieben, dass du das immer noch alles zusammensetzen musst, so ein bisschen. Und auch dich selber wieder so ein bisschen sortieren nach der ganzen Fahrt, nach der Tour, nach diesem doch monatelangen Arbeiten an diesem Thema. Ich meine, das ist ja auch wie beim Fahrradfahren. Das fällt ja auch nicht einfach so vom Himmel. Und erst recht nicht, wenn es dann am Ende 14 Krankenwagen sind, mit all dem, was du so beschrieben hast. Wie geht es denn jetzt weiter mit euch und der Initiative? Macht ihr weiter oder? Ja, wir machen irgendwie weiter. Wir wissen es selber noch nicht so genau. Wir haben uns einmal zur Sitzung in unserem Wirtshaus getroffen, wo wir auch davor unsere Pläne geschmiedet haben. Es gibt so ein paar, ich weiß gar nicht, ob ich es schon ankündigen kann, aber es ist so, dass wir noch Budget für einen, wenn nicht gar zwei Krankenwagen haben. Am Ende war es so, dass die Zeit gefehlt hat, diese Rettungswagen dann auch nicht zu kaufen. Das Geld wäre da gewesen. Also, wir hätten vermutlich auch mit 16 Fahrzeugen losfahren können. Und das hieß immer, die werden dann halt im Herbst drüber gefahren. Jetzt hatten wir überlegt, ob wir nochmal eine kleine Spendenaktion machen und vielleicht im Herbst eine Ausfahrt und einen Vortrag organisieren und hier in München und Umgebung quasi nochmal so eine Art Konvoi im Kleinen machen. Dass wir eine Ausfahrt machen, weiß ich nicht, 150, 200 Kilometer. Bis dahin schauen wir, wie viele Wagen wir noch organisieren können, und die begleiten uns einfach, so wie es auf der Fahrt war, und fahren dann ohne uns nach Lviv rüber. Wir müssen nicht immer dabei sein. Es ist wichtig, dass die Wagen darüber kommen. Das ist so die Idee, die wir uns gerade in den Kopf gesetzt haben und hoffen, dass sich das organisieren lässt. Das kriegt man garantiert ja, aber auch über euren Instagram-Kanal oder die Webseite dann mit, wenn es da weitergeht. Aber die Idee klingt ja erstmal durchaus plausibel, zu sagen, wir verabschieden die Wagen dann nochmal. Ja, genau. Und vor allem, dass wieder jeder, der Lust hat, dabei sein kann. Dabei sein im Sinne von auf die Aktion aufmerksam machen, für Spenden werben und vor allem halt wieder bei einer Fahrt dabei sein kann, wo wir dann hoffentlich wieder auch dieses Gemeinschaftsgefühl erleben, weil wir was zusammen tun, weil wir zusammen Fahrrad fahren und weil wir zusammen aufbrechen. Das sagt Sebastian Herrmann von der Initiative Chain Reaction Bike Konvoi for Ukraine hier im Fahrrad-Podcast Antritt. Ich sage vielen Dank für das Gespräch und für dein Engagement. Ich danke euch für das Interesse und dass ich euch das alles erzählen durfte. Das ist großartig. Danke euch! Wirklich beeindruckend, muss ich zugeben. Es ist sehr selten, dass ich während des Gesprächs hier im Podcast irgendwie so Gänsehaut bekomme, aber hier ist es gleich mehrfach passiert, gerade eben. Also, wirklich bemerkenswert, was das Team vom Chain Reaction Bike Konvoi da auf die Beine gestellt hat. Und mehr Informationen findet ihr auf chainreactionbikekonvoi.org. Den Link packen wir logischerweise auch in die Shownotes. Die nächste Ausgabe des Antritts gibt es dann wie gewohnt regulär am kommenden Freitag und etwas früher für alle Unterstützenden bei Steady und Apple Podcasts. Obwohl ich an dieser Stelle nochmal ausdrücklich auch allen anderen danken will, die uns mit Aufträgen oder Paypal unterstützen. Denn auch ihr helft dabei, den Antritt noch besser zu machen. Wie wir ja auch gerade gehört haben, gibt es da irgendwas, was uns Fahrradbekloppte zusammenschweißt. Wir freuen uns auf jeden Fall über jede und jeden Einzelnen von euch, der uns monatlich finanziell unterstützt und das hier alles ermöglicht und stabilisiert. In diesem Sinne danke dafür. Die kommende Ausgabe erscheint dann am 29. August. Das ist das Datum, wo sie regulär auf allen Podcast-Plattformen erscheint. Und ihr wisst, dass auch ein positiver Kommentar oder auch 5 Sterne helfen und uns hier ein bisschen voranbringen. Ich bin übrigens für die nächste Ausgabe mit Martin Moritz verabredet, der in diesem Jahr einer der am meisten angeklickten Punkte beim Transcontinental Race sein dürfte und am Ende ja Platz 2 belegt hat. Eine ganz andere Welt, aber auch total faszinierend. Ich sag nur: Race to the Ferry. Also, gern bis nächste Woche. Und aus gleich mehreren Gründen kommt der Song in dieser Woche von den Sportis und er heißt „Ein Kompliment“. [Musik: Sportsfreunde Stille – Ein Kompliment]