Es steht für Reinheit, Unschuld, aber auch das Unbezähmbare. Das Einhorn, oft dargestellt als Pferd mit einem Horn auf der Stirn, fasziniert dieses Fabelwesen seit mehreren tausend Jahren. Von Darstellungen auf Altarbildern, oft im Zusammenhang mit der Jungfrau Maria, bis hin zum Emoji, häufig einen Regenbogen kotzend. Einhörner sind bis heute allgegenwärtig. Und das, obwohl es sie doch eigentlich gar nicht gibt, oder? Mit der Ausstellung „Einhorn – das Fabeltier in der Kunst“ zeigt das Museum Barberini in Potsdam rund 150 Werke und Objekte von der Antike bis zur Gegenwart und erforscht damit die verschiedenen Bedeutungsebenen dieses einzigartigen Fabelwesens. Warum die Faszination für Einhörner bis heute ungebrochen ist, darum geht es in dieser Folge. Mein Name ist Sarah Marie Plekat. Kunst und Leben – Der Monopol Podcast von detektor.fm. Eines meiner prägendsten Filmerlebnisse als Kind war der Zeichentrickfilm „Das letzte Einhorn“ von 1982. In der magischen Fantasygeschichte begibt sich das letzte Einhorn auf die Suche nach den anderen Einhörnern und erlebt dabei viele Abenteuer. Für mich war diese Geschichte immer dann zu Ende, wenn das Einhorn auf den roten Stier traf, der es wie ein wütender Feuerball durch den Wald jagte. Weiter konnte ich nicht schauen, aus Angst, was mit dem Einhorn passieren würde, wenn der Stier es einfängt. Aber Einhörner, das weiß ich heute, lassen sich nur sehr schwer einfangen, denn sie stehen unter anderem für das Unbezähmbare. Saskia Trebing vom Monopol Magazin ist eingetaucht in die vielfältige Bedeutungswelt des Einhorns in der Ausstellung im Museum Barberini. Hallo Saskia! Hallo! Das Einhorn ist sehr vielfältig symbolisch aufgeladen. Es steht für Freiheit, Unbezähmbarkeit, habe ich gerade schon genannt, Reinheit, Unschuld. Erste Erzählungen des Einhorns stammen aus Indien. Es ist auf jeden Fall mehrere tausend Jahre alt. Wie hat es sich denn von dort über die Welt verbreitet? Es ist ja eigentlich so, wie mit Bildern und Geschichten, dass oft ist, dass eben nicht nur Menschen sich bewegen über die Erde, sondern eben auch Zeichen oder auch solche Geschöpfe wie das Einhorn. Also im Museum Barberini sieht man halt eben solche Felszeichnungen aus dem heutigen Indien, die eben lange vor dem europäischen Einhorn schon entstanden sind. Dann ist es über Persien gewandert. Das wird in römischen Schriften erwähnt, dann später in der Bibel. Und so hat es eigentlich so seine Weltreise begonnen und sich dabei auch immer wieder verändert. Also das ist auch sehr spannend, da zu sehen, dass natürlich diese Idee sich weiter fortsetzt. Also es gibt ein vierbeiniges Wesen, was ein einzelnes Horn auf dem Kopf hat. Aber das kann ganz ganz unterschiedlich aussehen. Also es gibt Bilder, da hat es eher so ein hundeähnliches Aussehen. Es gibt eine kleine Statue aus Tibet, die hat was gazellenartiges da mit so einem goldenen Horn auf der Stirn. Dann was wir heute vielleicht kennen, geht eher in die Pferderichtung. Lange hatte das Einhorn aber auch so einen Ziegenbart, weil es teilweise eben als ziegenartig beschrieben wurde. Also das heißt, wenn wir heute an so ein regenbogenfarbenes Emoji oder Spielzeug denken, dann hat das eigentlich eine ganz, ganz lange Kulturgeschichte hinter sich, die eben auch sich immer wieder verändert hat, je nachdem, wie es dargestellt wurde in den verschiedenen kulturellen Zusammenhängen. Jetzt hast du gerade gesagt, es hatte unter anderem auch mal eine ziegenähnliche Darstellungsweise. Ziegen an sich haben ja Hörner. Wie ist denn aus zwei dann eins geworden? Ja, also dieses Einhorn ist eben sozusagen die Kategorie, unter denen diese Einhörner zusammengefasst wurden. Es gibt ja auch Wesen wie das Nashorn zum Beispiel, das hat ein Horn. Aber ich glaube, man kann manchmal, ist es auch von der Seite dargestellt, wo man sich fragen kann, hat es vielleicht ein zweites Horn, was man einfach nicht sieht. Aber man kann eben auch an diesen Exponaten sehen, und da hat das Barberini eben so eine richtige Tiefenrecherche gemacht, dass es immer wieder darauf zurückläuft, dass eben dieses Wesen dieses eine lange Horn hat, was eben so in der Natur nicht vorkommt. Man hat ja dann auch lange Zeit die Narwhal-Szene als mehr oder weniger Beweis benutzt, dass diese Einhörner existieren, obwohl man die jetzt so oft nicht gesehen hat. Es gibt natürlich Sichtungen, auch gibt es Erzählungen von Sichtungen, wie das bei allen Wesen, auch so Geistersichtungen oder alle Wesen oder Aliens, also alles, was sich Menschen vorgestellt haben. Wenn man weiß, dass es das geben könnte, dann sieht man das auch. Also es gibt durchaus Einhornsichtungen, aber vor allem wurden die eben materialisiert durch diese Narwhal-Szene, die eben als Einhornhörner zirkuliert sind und auch teilweise als Heilmittel pulverisiert wurden. Und was ich auch eine sehr spannende Erkenntnis fand aus dieser Ausstellung in Potsdam ist, dass die indigene Bevölkerung in der Arktis, also zum Beispiel auf Grönland, die wussten natürlich, was das ist. Das sind Narwhal-Szene und sozusagen die Forschung ist da relativ lange mehr oder weniger so hinterhergelaufen. Erst im 17. Jahrhundert wurde dann zweifelsfrei nachgewiesen, dass es sich dabei nicht um Einhörner handelt. Aber wie gesagt, in den Regionen um die Arktis war das schon längst bekannt. Aber dass es das eben nicht in der Natur unbedingt gibt oder dass man eben nicht nachweisen kann, das hat der Existenz des Einhorns ja keinen Abbruch getan. Es existiert einfach weiter. Es sind wirklich unfassbar viele Werke, die da zusammengetragen wurden aus 4000 Jahren Kunst- und Kulturgeschichte. Also wirklich ein Ritt durch die Zeit eigentlich. Da kann ich mir vorstellen, es ist schwer, so ein, zwei Werke rauszupicken. Aber wenn du jetzt so vor deinem inneren Auge nochmal die Ausstellung hast, woran bleibt dein Gedanke, dein Blick so ein bisschen hängen? Also es ist wirklich extrem vielfältig und es ist auch sehr, sehr spannend zu sehen, wie eben dieses Einhorn immer, immer wieder seine Gestalt ändert und dass auch jede Zeit so die Einhörner hat, die sie braucht. Also dass natürlich so ein Fantasiewesen dann auch immer ein Produkt von Vorstellung ist, die was mit der realen Welt zu tun haben. Und vielleicht sind da zwei Werke ganz symptomatisch aus verschiedenen Jahrhunderten. Das eine ist ein Gemälde von Martin de Vos aus dem 16. Jahrhundert. Und da ist so ein ganz manieristisch gemaltes Einhorn. Das hat noch Elefantenfüße, das hat eine lockige Mähne, das hat auch so etwas relativ Gefährliches. Also dass diese Einhörner so niedlich und süß sind, das ist auch nicht immer so. Also es gibt auch das Einhorn, das eine gewisse Gefahr ausstrahlt oder auch kämpferisch ist. Also mit seinem Horn auch eine Waffe auf seinem Kopf trägt. Und jedenfalls ist dieses offensichtlich sehr muskulöse, sehr starke Einhorn vor so einer Landschaft gemalt, die offenbar Afrika sein soll. Also das heißt, der Lebensraum des Einhorns wurde auch immer mal wieder verlegt. Manche haben gesagt, das wohnt eben in Asien. Das kann auch in der neuen Welt, in Anführungszeichen, auf dem amerikanischen Kontinent wohnen. Hier wohnt es in Afrika. Und da sind dann im Hintergrund auch noch so kleine Kämpfer, also so Gestalten mit schwarzer Hautfarbe, die so mit Ländenschutz und Pfeil und Bogen auf Jagd gehen. Man weiß nicht, ob die Einhörner jagen, aber zumindest ist das so dieser afrikanische Kontext, wie man sich das vorgestellt hat in der Zeit. Und dann habe ich nochmal darüber nachgedacht, dass ja diese Imagination auch was mit dem Kolonialismus zu tun hat, dass man sich eben auch da so dieses vermeintlich Wilde, was man zähmen muss, so untergeordnet hat. Und das eigentlich auch eine Imagination ist. Also das ist genauso fiktiv wie dieses Einhorn und hat dann natürlich auch was mit Macht zu tun. Und insofern ist das Einhorn hier auch so ein Symptom, würde ich sagen, für eben diese politische Situation dieser Zeit. Das geht ja bis in die zeitgenössische Kunst weiter. Denn es gibt noch eine Arbeit von Rebecca Horn von 1970, die sich vielleicht auch, weil es mit ihrem Nachnamen so gut passt, mit dem Einhorn beschäftigt hat. Und zwar hat sie eine Protagonistin, eine Performerin, mit so einer Art Korsett ausgestattet, was aus weißen Gurten besteht und dann in so einer Art Helm endet, wo so ein ganz, ganz langes, auch sehr fallisches Horn drauf ist. Und diese Gestalt, also dieses menschliche Einhorn, wandert dann durch so eine Landschaft, durch den Wald. Es erscheint einfach. Es ist eben so dieses fast schon Magische. Man kann es nicht fassen, sondern es erscheint einfach und verschwindet dann auch wieder und läuft eben durch diese Bilder. Und was daran einerseits für mich interessant ist, dass das Einhorn selbst ja eigentlich eine Collage ist. Also so wie wir es heute haben, ist es ein Pferdekörper mit einem Horn. Also das ist sozusagen auch schon zwei verschiedene Dinge, die zusammengesetzt wurden, was ja die Kunst eben auch macht, daraus dann neue Bilder zu erschaffen. Und zweitens diese Verbindung auch vom Einhorn und Feminismus. Das hat vor allem im Surrealismus angefangen, dass sich Künstlerinnen dieses Motiv auch angeeignet haben. Und lange war das Einhorn eben der Jungfrau in der christlichen Ikonografie zugeordnet. Also nur sie kann es zähmen. Und es war auch ein Sinnbild für die unbefleckte Empfängnis. Wenn das Einhorn auf den Schoß der Maria springt, dann war das sozusagen ein Zeichen der Verkündigung. Einhörner sind ja auch relativ fallische Tiere. Also das sieht man auch immer wieder in der Ausstellung. Und das eben zu benutzen, diese Kulturgeschichte, und selber zum Einhorn zu werden und eben so diesen ganzen kulturgeschichtlichen Ballast zu benutzen, um das an einem Frauenkörper sozusagen vorzuführen. Ja, da schwingt einfach so viel mit, was mich irgendwie nochmal ganz anders auf dieses Einhorn auch hat schauen lassen. Du hast vorhin gesagt, der Satz, der hängt mir bis gerade noch nach, dass jede Zeit auch so ein bisschen seine eigene Darstellungsweise des Einhorns hat. Wenn man sich auch die verschiedenen Werke anschaut, Einhörner findet man vielfältig in der Kunstgeschichte, aber auch in der Popkultur. Es ist im Grunde allgegenwärtig. Es gibt Emojis, es gibt sie auf Kondompackungen. Also wirklich, es gibt sie als Plüschtiere in Kinderzimmern. Sind das dann die Einhörner unserer Zeit? Oder wie würdest du sagen, was für ein Einhorn hat unsere Zeit? Ja, also ich finde, das ist auch ein bisschen die Frage, die diese Ausstellung aufwirft, weil obwohl die wirklich ganz streng kunsthistorisch ist, also man findet da jetzt wirklich keinen Selfie Content oder irgendwelches Glitzer, vielleicht im Museumsshop, aber nicht in der Ausstellung, sondern es ist eher so ein ganz streng kunsthistorischer Zugang, auch mit viel medialistischem Inhalt, mit Wandtapesterien, mit Originaldokumenten, mit archäologischen Fundstücken. Und trotzdem hat das irgendwie so eine totale Resonanz auch schon gehabt, auch auf Social Media, weil eben dieses Einhorn, glaube ich, im Moment so präsent ist als so ein Wunschglitzer, irgendwie auch gezähmtes Tier. Und ich fand es total interessant zu sehen, dass René Magritte schon so ein Einhorn gemalt hat, das auch so ein bisschen surrealistisch ist, weil es so halb vermenschlicht ist, mit diesen großen Augen, auch so ein bisschen niedlich. Und dann hat es so einen Turm auf dem Kopf statt einem Horn. Und das sieht total aus wie so ein Kawaii-Manga-Einhorn, wie es ja auch in der Manga-Kultur in Japan oft vorkommt. Insofern ist so dieser niedliche, kindliche Aspekt durchaus auch nicht ganz neu, aber hat natürlich auch was zu tun mit der Kommerzialisierung dieses Wesens, das ja auch eigentlich immer berechenbarer, mehr oder weniger, geworden ist. Also dieses Gefährliche ist dann so ein bisschen verschwunden in der Popkultur. Das ist ja eben das letzte Einhorn beschrieben. Da ist es ja eher das gefährdete Lebewesen, also dieses verlorene, schützenswerte. Und dann in den 80er Jahren wurden auch die ersten My Little Pony, hießen die glaube ich, Figuren auf den Markt gebracht. Und da gibt es auch Einhörner von. Also so dieses niedliche, kindliche kommt einmal, glaube ich, einfach aus der Konsumkultur. Also Einhörner sind sehr konsumierbar geworden. Und auf der anderen Seite gibt es ja aber auch so eigentlich diese queere Dimension, dass sich gerade die queere Community des Einhorn auch angeeignet hat, dass es so ein Symbol ist, auch was sich so den Geschlechternormen entzieht, was vielleicht auch aufgrund seiner Seltenheit und dass Leute immer wieder bestreiten, dass es das gibt, eben so auch ein Spirit Animal, sage ich jetzt mal, für Menschen geworden ist, die halt nicht unbedingt in die Geschlechternormen passen oder die eben auch für ihre Existenz angegriffen werden. Und insofern kann das irgendwie so ein verglitzertes Konsumtier sein, aber es kann eben auch eigentlich politisch widerständig gelesen werden. Und das ist vielleicht auch das, was das Einhorn so durch die Zeit immer wieder charakterisiert, dass man es halt wirklich nicht fassen kann. Also dass diese Symbolik total fluide ist, immer wieder sich verändert, auch unterschiedlich gelesen werden kann, weil es halt immer wieder diese Projektionen, diese menschlichen Projektionen auf dieses Werk gibt, was ja auch für menschliche Vorstellungskraft steht. Also wir haben uns das ausgedacht, dann können wir es auch immer wieder neu erfinden. Dann kommt jetzt meine letzte Frage. Ein Werk schauen wir uns im zweiten Teil dieser Folge genauer an, und zwar die Skulptur „La Lotta“ von Olaf Nikolai. Die stammt von 2006. Du hast es gesehen in echt. Magst du kurz deine Eindrücke dazu schildern? Ja, eine erste Einhornsichtung. Also das Werk ist ein ausgestopftes Einhorn. Jetzt erstmal vom visuellen beschreiben, wie es genau gemacht ist, kann vielleicht dann Olaf selber erzählen. Aber auf jeden Fall ist der Eindruck, den man bekommt, dass auf dem Boden ein schwarzes, also oft sind ja Einhörner weiß, und das ist die Farbe, die sich so am meisten durchgesetzt hat. Ist auch nicht immer so, aber oft hat man ja so die Assoziation, dass Einhörner weiß sind. Das ist ein schwarzes Einhorn, was auf dem Boden liegt, eigentlich relativ ruhig, so eine ganz starke körperliche Präsenz ausstrahlt und ebenso diese Einhornsichtung in so was eigentlich ganz Friedliches verwandelt. Und der Körper ist warm. Ich glaube, 43 Grad, was ja die Temperatur ist, wo Säugetiere sterben, weil sich dann die Eiweiße zersetzen. Das heißt, es ist so eine, fand ich sehr präsente Arbeit. In Potsdam darf man leider nicht so nah rangehen, dass man das wirklich spürt, weil natürlich das auch fragil ist. Aber dass man so eben so dieses Lebendige, das Tote, das Nichtexistente, das Material und die Vorstellung sich auf so eine interessante Art treffen. Das sagt Saskia Trebing vom Monopol Magazin. Saskia, vielen, vielen Dank für das Gespräch. Danke auch! Ein schwarzes, lebensgroßes Pferd sitzt auf der Seite. Auf der Stirn trägt es ein langes Horn. Die Skulptur „La Lotta“ von Olaf Nikolai ist eine individuelle, moderne Darstellung des Einhorns. Die Faszination für dieses Fabelwesen begann für Olaf Nikolai bei einem Besuch im New Yorker Sprechen wir jetzt. Hallo Olaf Nikolai, schön, dass Sie da sind. Hallo! Ich habe gerade schon mit Saskia Trebing über die Ausstellung und auch die Bedeutungsebenen des Einhorns gesprochen. Es steht ja für ganz viele Dinge, für Reinheit, Unschuld, aber auch Unbezähmbarkeit. Etwas Kämpferisches hat es auch. Was fasziniert Sie an diesem Fabelwesen? Seine Fähigkeit, als Fantasieprodukt so starke emotionale und auch gedankliche Konstrukte an sich zu binden. Also dass jeder mit dem man darüber spricht oder jeder, den man irgendwie in einem Gespräch hat und das Thema Einhorn kommt, irgendetwas dazu wirklich auch assoziiert oder auch wirklich Gedanken dazu hat. Und es ist ein sehr, sehr universelles Konstrukt. Und das hat mich damals, als ich in dem Kloisters, das ist diese Außenstelle des Metropolitan Museums in New York, diese großen Einhornteppiche gesehen habe. Abgesehen von der handwerklichen Qualität ist das natürlich auch die ganze Geschichte, die dort erzählt wird, die Sie jetzt schon angedeutet haben, mit den Qualitäten, die so einem Fabelwesen zugeschrieben werden. Und was sich damit alles verbindet, sehr berührt und sehr beeindruckt. Und ja, und das war etwas, was mich irgendwann in dieser Zeit zum Wissen beschäftigt hat. Und da gab es aber noch andere Dinge, über die wir wahrscheinlich noch sprechen werden, die dann dazu geführt haben, dass ich gesagt habe, das möchte ich jetzt versuchen, ob ich sowas praktisch in einer Ausstellung dann vorstellen kann. Was ich mich gefragt habe, es ist ein echtes Pferd, was ausgestopft wurde und dann quasi mit einem repariert worden, ja? Genau, mitten im Horn versehen wurde. Und dann gibt es noch die Das ist ein Narwhalhorn, ja. „La Lotta“, der Titel steht auch für das italienische „Kampf“, die „Schlacht“, aber auch „Zwist“. Um welche Auseinandersetzung geht es Ihnen dabei? Also zuallererst, wenn man eine Arbeit hat, muss man ihr ja einen Titel geben. Und ich bin großer Freund, den Titel als Bestandteil des Werkes zu betrachten. Also es ist nicht jetzt einfach nur ein Etikett, sondern ich sehe die Titel tatsächlich als eine weitere Fortsetzung des Werkes. Und bei dieser Arbeit war es so, einerseits wollte ich natürlich einen Titel haben, der wie ein Name funktioniert. Also wo man im ersten Moment denkt, ach, das ist der Name dieses Fabelwesens, der aber zugleich noch andere Ebenen aufruft, die für mich in dieser Arbeit sehr wichtig sind. Und da war „La Lotta“ eine sehr willkommene italienische Formulierung, weil als erstes, wenn man das liest, mit „La Lotta“ Lotta ist dann irgendwie doch ein Name, den man sich vorstellen könnte, jemand heißt Lotta. Und „La Lotta“ eben als Kampf macht eine ganz andere Bedeutungsebene auf und verweist noch auf ganz andere Konstellationen. Und das war dann eigentlich der Punkt, wo ich gesagt habe, das ist ja super, das nehme ich jetzt. „La Lotta“ ist genau das, was ich haben möchte. Andere Konstellationen, sagen Sie gerade, was genau meinen Sie? Also jeder Italiener, mit dem Sie über „La Lotta“ sprechen, wird zumindest jemand, der so in den 70er oder 80er Jahren sozialisiert worden ist, mit „La Lotta“ auch „Lotta Continua“ verbinden. Das ist eine Gruppe von Terroristen, Linksterroristen gewesen, die allerdings auch sehr starke theoretische Impulse gehabt hat oder sich sehr stark auch theoretisch mit der Frage des Kampfes gegen ein kapitalistisches System beschäftigt hat und die eben auch in viele sehr, sehr komplexe und auch sehr relativ schwer zu durchdringende Ereignisse der 70er und 80er Jahre, also den Tod von Aldo Moro oder sowas, verwickelt waren. Und das ist für mich eigentlich so ein Hinweis auf die Idee, die beginnt mit einer Utopie. Also die Leute, die „Lotta Continua“ vertreten haben, haben natürlich immer von sich behauptet, dass sie für eine Utopie kämpfen, für die Verwirklichung von einer Utopie. Und diese Bezüglichkeit zwischen Utopie und Gewalt, das ist etwas, die mich sehr beschäftigt hat. Ist dann quasi Ihre „La Lotta“ oder Ihr „La Lotta“ geschlechtslos? Weil „La Lotta“ ist ja feminin. Eine quasi Entsprechung unserer Zeit oder in der Zeit, in der es entstanden ist, oder bezieht es sich auf die Zeit, auf die Sie gerade referiert haben? Also Sie haben jetzt zwei Fragen gestellt. Einmal die nach den Geschlechtern, einmal nach der Zeitbezüglichkeit. Aber das deutet ja schon darauf hin, was dieser Titel eben macht, was er praktisch diese Changerung herstellt. Und genau darum geht es mir. Und die Zeitbezüglichkeit ist das eine, aber das andere ist natürlich auch, erstmal, dass man nur dieser Arbeit sich nähert und staunt und sagt, was ist das hier eigentlich? Und was eben eine sehr entscheidende und wichtige Geschichte ist, dass diese Skulptur eine Temperatur hat. Also dass sie selbst nicht einfach nur ein referiertes großes Objekt ist, sondern dass sie eine Temperatur hat, die man, wenn man sie berührt, auch fühlt. Auch 43 Grad. Das ist ja im Grunde eigentlich eine Temperatur, bei der Lebewesen, zumindest Säugetiere und auch Menschen, eigentlich nicht mehr leben können, weil ein chemischer Prozess in Gang kommt, der die Lebensfähigkeit des Organismus sozusagen beendet. Und das ist jetzt eine Erinnerung gewesen an meine Kindheit. Da waren Fieberthermometer noch mit den Quecksilbersäulen. Und da hat mich als Kind mal gewundert, warum eigentlich das Fieberthermometer bei 42 Grad endet. Also warum gibt es da keine andere Angabe mehr? Und das hat dann mir der Arzt gesagt, naja, also wenn das da drüber ist, brauchen Sie das nicht mehr. Und das ist eben der Hintergrund. Das ist so sehr erinnerlich geblieben. Heute sind ja Fieberthermometer anders, also da wird das niemand sofort so assoziieren, dass das im Grunde genommen die Temperatur ist, die, wie Sie schon sagten, wer sie hat, nicht mehr lebt. Also das ist Tod. Und dann ist das eben genau dieses Paradox, wenn Sie das jetzt berühren, dieses Gefühl durch die Wärme, das lebt doch irgendwie. Und auf der anderen Seite ist diese Temperatur, wenn man weiß, welche Temperatur es ist, ein ganz klares Teil des Todes. Und das ist ja ein komplettes Paradox, was man eben auch auf dieser Ebene des sinnlichen unmittelbaren Berührens erfährt. Sie haben von der Verbindung von Utopie und Kampf in Bezug auf das Einhorn gesprochen. Was ist für Sie da das Utopische? Was ist der utopische Moment? Also einerseits ist der utopische Moment ja für viele, die über das Einhorn reden, präsent, weil es ist ja ein Wesen, dem man, wenn man ihm begegnen würde, eine Begegnung macht, die selbst etwas unglaublich Utopisches hat. Also im Sinne des Nicht-Ortes ist es ein Ort, wo man auf einmal ganz anders ist, aber eben auch die Utopie im Sinne eines anderen Ortes, wo sich Dinge erfüllen, wo sich auch Wünsche erfüllen. Und die Farbe Schwarz zum Beispiel auch für die Arbeit und eben die Wahl der Temperatur von 43 Grad, das sind ja alles Symbole, die in eine andere Richtung weisen, also eher in die Richtung Tod. Und was mich an dieser Arbeit sehr selbst beschäftigt hat, was mich auch zu ihr geführt hat, ist eben diese Verwobenheit des Todes mit der Idee der Utopie. Also ganz platt gesagt, nur weil wir sterben, haben wir überhaupt utopische Vorstellungen. Aber das meine ich nicht, sondern ich meine, dass diese Idee der Möglichkeit der Verwirklichung von Utopien immer auch mit den Fragen einhergeht, welche Mittel sind dazu eigentlich geeignet? Welche Mittel können überhaupt utopische Dinge realisieren? Inwieweit ist Gewalt eine Notwendigkeit oder eben eine zu unterlassene Haltung oder Aktivität, wenn man etwas verwirklichen möchte, von dem man sagt, das ist eine positive Utopie? Und das ist ja ein ganz aktuelles und virulentes Thema, inwiefern man bestimmte Haltungen artikuliert, sie kommuniziert, wie man sie in seinen Handlungen versucht zu realisieren. Welche Rolle spielt da bei Gewalt? Also ist Gewalt ein legitimes Mittel oder muss Gewalt reguliert werden? Und wer reguliert Gewalt? All diese Fragen stecken da drin und das ist das, was mich auch an dieser Arbeit nicht so sehr mit der Arbeit beschäftigt hat. Nicht, dass ich jetzt irgendwie möchte, dass die Leute auf einmal durch die Begegnung anfangen, sich stark mit solchen philosophischen Themen zu beschäftigen, aber ich glaube, durch eine unmittelbare sinnliche Erfahrung, die diese Begegnung, diese Arbeit bietet, ist es möglich, auch solche Sinnfragen für sich selbst zu bewegen. Weil man ist ja berührt, man ist ja gestimmt, man ist in einer bestimmten Form von dieser Sache angesprochen und das geht ja weiter, das nimmt man ja mit. Und das ist eben auch eine wichtige Frage, die gerade auch in den theoretischen Sachen, auch der Kunsttheorie, eine ganz große Rolle spielt. Wie repräsentiert man Gewalt? Welche Funktionen haben Gewaltmomente? Und das ist etwas, was eben für das Einhorn auch immer mehr große Dimensionen gehabt hat, was man auch in der Ausstellung an den historischen Exponaten, wenn man genau schaut, selbst sehen kann. Und das bin ich auch sehr dankbar, dass sozusagen so ein Kontext auf einmal gegeben worden ist, in dem diese Arbeit auftauchen kann. Ich erinnere mich gerade an ein Gemälde, was mir beschrieben wurde. Ich habe leider den Titel, der ist mir entfallen, aber das ist quasi die Darstellung eines sehr manieristischen Einhorns. Im Hintergrund sieht man Kämpfer und man weiß aber nicht, so genau, jagen sie es jetzt? Gleichzeitig ist aber auch die Darstellungsweise sehr kämpferisch, sehr, auch es hat ja auch eine Brutalität. Ich meine, dieses Horn, das ist ja auch sehr spitz und kann dadurch ja… Auch eine Waffe sein. Also, das finde ich irgendwie sehr faszinierend, wie viele Bedeutungen es gibt. Es gibt eine sehr schöne Buchdarstellung in der Ausstellung, wo der Heilige Antonius von einem Einhorn durch die Brust gestoßen wird. Also, das Einhorn springt auf ihn zu und stößt ihn direkt in die Brust. Also, da hat man das direkt da. Dieses bildliche Darstellen von dieser Aggressivität, von dieser Gewalt, die da auch eine Rolle spielt. Aber das ist eben eine ganz wichtige Frage: Wie geht man mit dieser Gewalt um? Sie ist da, sie geht nicht weg, aber wie reguliert man sie? Also, wie wird sie praktisch verhandelt? Und da kommt man zu sehr weiten Fragen, also Gewaltmonopole. Und wie regelt man überhaupt Gesellschaften und die Gewalt in Gesellschaften? Und das kann man auch in so einer Ausstellung wie dem Einhorn sich anschauen. Das Einhorn ist bis heute allgegenwärtig, ob jetzt als Emoji, als Symbol auf einer Kondompackung oder sprachlich. In der Finanzwelt werden Startup-Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde Dollar wegen ihrer Seltenheit als Unicorns bezeichnet. Glauben Sie, dass wir Einhörner brauchen oder verschiedene Entsprechungen davon? Also, das kann ich Ihnen nicht sagen, ob wir das brauchen. Ich glaube aber, dass man immer wieder metaphorische Konstrukte braucht, um diese Dinge zu kommunizieren, die man mit Produkten verbindet. Also, was habe ich für eine Vorstellung? Was möchte ich eigentlich für eine emotionale Message noch mit einer inhaltlichen Message verbinden? Also, wie kann man das kommunizieren? Und das ist natürlich in so einem Brand wie Einhorn, ich nenne das jetzt bewusst mal Brand, fantastisch gelöst. Also, da hat man das einfach, weil es ist, wie wir am Anfang in unserem Gespräch schon beide festgestellt haben, etwas, was universell gut funktioniert. Also, es gibt kaum sehr stark voneinander abweichende Begriffe davon. Also, jeder hält das erstmal für etwas Besonderes. Es ist eine Ausnahme, es ist nicht die Regel. Und damit hat man schon mal eine Setzung gemacht. Und das bietet sich natürlich sehr stark an. Also, was diese Brand-Geschichte angeht, ist mir das selbst widerfahren. Ich war auf der Biennale in Shenzhen und bin dann mit dem Taxi zur Fähre gefahren und bin an einem großen Gebäude vorbeigekommen, wo ich auf einmal dachte, ist das noch ein neues Museum, das ich nicht kenne? Denn da war ein großes Plakat meines Einhorns draußen dran. Und ich habe dann erfahren, das ist ein Kaufhaus, und die haben für einen Brand Unicorn praktisch einfach aus dem Netz diese Sache genommen, großgezogen, ins Kaufhaus draußen angehangen. Und ich habe dann hinterher mal jemanden gefragt, können wir da was machen? Weil zumindest wäre es ja schön, dass man darauf hingewiesen wird, dass das nicht das Brand Unicorn ist, was da dieser Arbeit beworben wird. Und der war ein Freund, der auch Anwalt ist, der sagte, das kannst du vergessen. Dort bedeutet das Copyright das Right to Copy. Und damit ist das eigentlich klar gewesen. Auf der anderen Seite war das genau eine Bestätigung dieser Sache, wie universell dieses Image aber auch dieser ganze Komplex, der sich mit diesem Fabelwesen verbindet, ist wieder auch interkulturell, also sich wunderbar immer wieder neu einsetzen lässt. Das war eine sehr persönliche Erfahrung dieses Moments. Das sagt der Künstler Olaf Nikolai. Sein Werk „La Lotta“ von 2006 ist derzeit Teil der Ausstellung „Einhorn – Das fabelt hier in der Kunst“ im Museum Barberini in Potsdam. Herr Nikolai, vielen Dank für das Gespräch. Danke schön. Noch bis zum 1. Februar 2026 kann man im Museum Barberini in die Kunst und Kulturgeschichte des Einhorns eintauchen. Danach wandert die Ausstellung weiter nach Frankreich. Kunst und Leben, den Podcast in Kooperation mit dem Monopol Magazin, gibt es zweimal im Monat, immer dienstags. In der letzten Folge ging es um den Kunstmarkt und was da jetzt eigentlich gerade los ist. Und in der kommenden, in der nächsten Folge, da schauen wir uns an, wer prägt eigentlich die Kunst? Denn dann ist es wieder Zeit für die Top 100 der prägendsten Persönlichkeiten in der Welt der Kunst. Ja, wenn ihr das nicht verpassen wollt, dann klickt gleich nach dieser Episode auf Folgen. Dann kann auch garantiert nichts schiefgehen. Produziert hat diese Folge Stanley Baldauf. Und mein Name ist Sarah Mariplikat. Macht’s gut und bis zum nächsten Mal. Kunst und Leben, der Monopol-Podcast von detektor.fm.