Er ist ein Meister der leisen Schwermut und kann in einem Drei-Minuten-Song ein Stück Welt bauen, in das man sich vertiefen will wie in ein gutes Buch. Niels Frevert schreibt nicht einfach nur Songs, er schreibt im Grunde Kurzgeschichten und vertont sie.
Sein Blick bleibt immer auf dem Alltäglichen, aber wenn er über halbvolle Waschmaschinen singt, ist das pure Poesie. Das ist auf dem neuen Album nicht anders – auch auf „Paradies der gefälschten Dinge“ findet man Frevert vom Feinsten. Auch wenn er selbst mit dem hohen Wiedererkennungswert seiner Songs immer ein bisschen hadert und auch diesmal nach Wegen gesucht hat, seine Musik genug zu verändern, dass er sich selbst damit nicht langweilt.
Ich fände es schlimm, wenn eine neue Platte rauskommen würde von mir und die Leute sagen: „Ach ja, klingt ja wie die letzte und die vorletzte – das ist genau das, was man von ihm gewohnt ist.“ Das klingt dann so nach Stillstand. Als hätte man sein Rezept gefunden und den Stiefel zieht man jetzt durch. Ich mache ja jetzt kein Elektro-Album, das sind Dinge, von denen ich keine Ahnung habe. Aber in dem Bereich, in dem man sich so befindet, in dem man musiziert – dass man sich da auch mal umguckt und ganz bewusst Sachen verändert, das finde ich schon wichtig.
Den Sound der Geschichte angepasst
Das neue Album sei im Vergleich zum Vorgänger „Zettel auf dem Boden“ dynamischer, offener und gewagter, sagt Niels Frevert. Die offensichtlichste Veränderung, die hörbar wird, ist vor allem eine noch opulentere Klangausstattung. Streicher gab es bei ihm ja schon immer, aber diesmal ist alles noch eine Nummer schwelgerischer ausgefallen, weg von zu striktem Minimalismus. Es gehe immer darum, den Sound der Geschichte anzupassen, die der Song erzählt. Also probiert Niels Frevert eben so lange, bis er genau das gefunden hat, was der Song braucht.
Wenn das hilft, eben noch komische Streicherwendungen im Hintergrund zu haben, um diese Geschichte zu erzählen, dann muss man das machen. Das ist auch für mich der Maßstab zu hören, ist der Song fertig, ist die Aufnahme fertig, kann man den Song so auf Platte rausbringen. Für mich ist das das Gefühl, ist der Song erzählt oder nicht.
Intensive Detailverliebtheit
Da wo Niels Frevert musikalisch an seine Grenzen stößt, holt er sich fähige Leute dazu und kennt da auch keine Eitelkeit. Was er nicht gut oder nicht gut genug kann, lässt er andere machen. Das heißt aber nicht, dass er nicht doch auch ein Stück perfektionistisch veranlagt ist. Wenn er ein Album aufnimmt, sagt Frevert, tritt alles andere erstmal in den Hintergrund.
Ich tauche da wirklich ein, ins Schreiben und auch ins Aufnehmen, in den ganzen Prozess. Auch weil ich darin versinken oder mich verlieren kann, weil es mir da auch um jedes kleine Detail geht. Ich arbeite wirklich bis zur letzten Möglichkeit daran, das ganze Album so zu gestalten, dass es auch so wird, wie ich es mir vorgestellt habe. Das ist eine intensive Art, Platten zu machen. Dafür braucht es Zeit und auch ganz viel Leidenschaft.
Keine Eins-zu-eins-Texte
Nur wenn es ans Texten geht, ist Niels Frevert vorsichtiger mit dem sich vertiefen, da geht er lieber ein bisschen auf Distanz. Auch wenn seine Songs also extrem persönlich anmuten, muss das nicht heißen, dass man es immer mit Frevert‘schem Seelenstriptease zu tun hat.
Ich könnte nie eins zu eins, über mich schon mal gar nicht oder über andere Personen aus meinem Umfeld, schreiben. Da wäre ich befangen. Das heißt, im Grunde genommen ist das so eine Mischung aus selbst Erlebtem, was ich mal mitbekommen oder beobachtet habe oder was mir zugetragen wurde. Dann tue ich verschiedene Geschichten in einen Topf und bau daraus eine neue Geschichte.
Man darf also rätseln, ob ein abgelehnter Heiratsantrag im Song „Das mit dem Glücklichsein ist relativ“ beispielsweise nun auf eigener Erfahrung basiert oder nicht. Letztlich ist aber auch überhaupt nicht wichtig, ob es die Speisewagenmomente, die Muscheln und Geigen aus Freverts „Paradies der gefälschten Dinge“ wirklich jemals genau so gegeben hat. Das Schöne an Niels Frevert ist, dass man irgendetwas an seinen Songs immer wieder erkennt – wenn nicht im Detail, dann doch wenigstens das Gefühl.