Synthies und The Divine Comedy?
Wenn Neil Hannon, der Mann hinter The Divine Comedy, plötzlich ankündigt, er würde ein Synthesizer-Album machen, dann schrillen bei Fans schon mal die Alarmglocken. Schließlich steht The Divine Comedy seit Jahrzehnten für altmodische, opulent-orchestrale Popmusik, bei der so wenig wie möglich aus dem Computer kommt. Allerdings hat Neil Hannon aus seiner Liebe für die 80er auch nie ein Geheimnis gemacht – sie tauchte bisher nur noch nie so vordergründig auf wie bei „Office Politics“.
Ich liebe diese Musik schon immer. Ich habe auch nie verheimlicht, dass Synth-Pop wahrscheinlich meine wichtigste Inspirationsquelle ist. Und wenn man genau hinschaut und sich die Instrumente wegdenkt, mit denen diese Songs geschrieben wurden, dann sind es alles klassische Pop-Songs. – Neil Hannon
Tatsächlich bestimmen Synthesizer nicht nur den Sound der neuen Songs, sondern werden an einigen Stellen sogar mit viel Selbstironie zum Thema der Texte. Der Track „The Synthesizer Service Centre Super Summer Sale“ listet mit nicht ganz ernstgemeinter Akribie so ziemlich alles auf, was Synthie-Sammler-Herzen höher schlagen lässt.
Wenn der Ausflug in die Synthie-Welt schief gegangen wäre, hätte das Desaster wegen des Doppelformats der Platte schlimmstenfalls auch gleich doppeltes Ausmaß angenommen. Aber soviel Genie – oder vielleicht auch nur gesunder Menschenverstand – steckt dann einfach drin im langjährigen Songwriter-Profi Neil Hannon. Und so bleiben über die Hälfte des Albums einfach beim klassischen The Divine Comedy-Sound und Stil. Wer also darauf gewartet hat, bekommt auch mit „Office Politics“ wieder genug kuriose und verspielte Erzähl-Songs mit vielschichtigem Instrumentarium und Anleihen aus allen Musikrichtungen der letzten 50 Jahre.
Neil Hannon – Song-Recycler
Die Konsistenz im Repertoire von The Divine Comedy entspringt dabei keinem Masterplan. Sondern sie entsteht oft einfach dadurch, dass Hannon meist sehr viele Songs am Stück schreibt – grundsätzlich mehr als auf ein Album passen. Entsprechend kann er auf ein riesiges Arsenal an Ideen und angefangenen Stücken zurückgreifen, wenn es darum geht, dann doch mal wieder eine neue Platte zu füllen – oder im aktuellen Fall eben das lang angekündigte Doppelalbum. Weggeschmissen wird bei The Divine Comedy nichts – höchstenfalls zurückgestellt, bis es irgendwann, irgendwo vielleicht doch passt:
Computer Love oder Computer Hate?
Überall da, wo Neil Hannon sich auf „Office Politics“ seiner Synthesizer-Liebe hingibt, tut er es ohne jede Zurückhaltung. Inhalt und Sound kommen zusammen, um eine seelenlos-kalte Maschinenwelt abzubilden, in der Menschen überflüssig sind und von künstlicher Intelligenz an den Rand gedrängt oder zumindest vom Computer überwacht werden. Es gibt Stücke, die man fast nicht mehr „Song“ nennen mag. Weil sie zum Beispiel wie in „Psychological Evaluation“ einfach einen Bot-gesteuerten Fragenkatalog nachzeichnen, der menschliches Wohlbefinden in übervereinfachte Kategorien einteilt. Oder „Infernal Machines“: ein akustischer Nervtöter in gefühlter Endlosschleife, bei dem das Zuhören auf Dauer schwerfällt.
Warum gehört ausgerechnet dieser Song zu den Lieblingssongs von Hannon? Und wieviel Ohrwurm-Potential hat „Office Politics“? Doris Hellpoldt aus der detektor.fm-Musikredaktion hat das Album gehört und Neil Hannon getroffen.
Redaktion: Christian Erll