Selbst wenn man kein Fußballfan ist, gibt es so Vereine, die kennt man einfach. Da ist zum Beispiel der FC Bayern München, der einfach so erfolgreich ist, dass es dann doch jede und jeder mitbekommt. Aber dann ist da auch so ein Verein wie der FC St. Pauli. Nicht besonders erfolgreich, aber trotzdem kennen jede Menge Leute auf der ganzen Welt das Logo mit dem Totenkopf. Woher eigentlich? Wie hat es der FC St. Pauli geschafft, so eine erfolgreiche Marke zu werden? Darum geht’s hier heute. Ich bin Jessi Jus. Also mir passiert es tatsächlich immer wieder, dass ich im Urlaub an den entlegensten Orten Menschen treffe, die einen Pullover oder ein T-Shirt mit einem ziemlich ikonischen Totenkopf drauf tragen. Der sogenannte Jolly Roger ist das Symbol des Hamburger Fußballvereins FC St. Pauli. Ein Verein, der im Vergleich zu anderen Bundesliga-Vereinen nicht besonders groß ist, nicht besonders viel Geld hat und auch nicht besonders erfolgreich ist. Aber ein Verein, der weltweit Kultstatus genießt. Das liegt natürlich nicht nur am wiedererkennbaren Logo. Der FC St. Pauli ist im deutschen und internationalen Fußball vor allem für seine Vereins- und Fankultur bekannt. Alternativ, links, antifaschistisch. Es gibt viele Fanprojekte, soziale Aktionen und basisdemokratische Strukturen. Außerdem setzt der FC St. Pauli bei der Finanzierung auf eine eigene Genossenschaft. Warum der gute Ruf der Mannschaft schon lange vorauseilt, darüber hat mein Kollege Christian Bollert mit Martin Drust gesprochen. Der ist beim Verein für die Marke St. Pauli verantwortlich und zu Gast in unserem Brand1-Podcast. Stichwort: das richtige Leben im Falschen. Wenn man sich intensiver mit St. Pauli beschäftigt, dann stößt man auch immer wieder, übrigens auch in älteren Brand1-Texten, auf das Wort Lebensgefühl. Würdest du das unterschreiben? Ja, tatsächlich. Brand1 hat ja auch mal, glaube ich, sogar nicht nur von Lebensgefühl, sondern von Wertegemeinschaft gesprochen. Und das ist tatsächlich der treffendere Begriff, weil das, was die allermeisten hier, die zum FC St. Pauli kommen, ist ein gewisses Wertegerüst, das sehr sichtbar ist durch den Totenkopf und die damit verbundene Ablehnung von jeder Form von Herabwürdigung, so würde ich es mal nennen, ohne hier jetzt alle auszuführen. Man kann es natürlich auch irgendwie Lebensgefühl nennen, aber ich finde, Lebensgefühl ist schwieriger zu beschreiben, als wenn man über Werte spricht. Und ja, es gibt so ein gewisses Lebensgefühl hier rund um den FC St. Pauli. Das fällt mir aber schwerer, es zu beschreiben, als wenn ich sage, wir haben hier uns eigentlich so Rahmenbedingungen gegeben, die kommen aus Werten, weil das ist hier viel klarer. Das heißt, auch du würdest ein anderes Wort, das auch immer wieder auftaucht, vielleicht sogar ablehnen? Lifestyle? Ja, also nee, ich lehne generell solche Begriffe nicht ab, weil sie ja auch irgendwie eine Wahrheit transportieren. Aber wir wollen natürlich nicht, sage ich mal, unter Lifestyle sozusagen einsortiert werden. Wobei Lifestyle und Lebensgefühl ist ein ähnliches. Ist das nicht sogar die Übersetzung? Ist nicht so weit voneinander entfernt, wahrscheinlich. Aber ist es denn tatsächlich heute noch so, dass ihr zum Beispiel im Vergleich zu anderen Bundesliga-Klubs tatsächlich signifikant auf einen Namen verzichtet, weil ihr sagt, das machen wir nicht und das wollen wir eigentlich nicht? Ja, genau, das tun wir schon. Also wir zum Beispiel veräußern den Stadionnamen nicht, weil wir glauben, ein Stadion ist auch etwas Identitätsstiftendes. Und das hat die Mitgliederversammlung auch mal so beschlossen. Dürfen wir also gar nicht. Da kannst du schon von ausgehen, dass wir auf drei bis fünf Millionen Euro verzichten, alleine durch dieses eine Recht, was wir nicht veräußern. Und darüber hinaus machen wir auch so andere Sachen nicht, die dann vielleicht nicht unbedingt so sichtbar sind, aber wir präsentieren keine Ecken, nicht den dollsten Schuss, was es alles für Entertainment-Formate in anderen Stadien gibt. Martin, ist es nicht gleichzeitig auch unglaublich schwer, diese Balance zu finden, die du auch schon so ein bisschen angesprochen hast, zwischen beispielsweise mehreren hundert Merchandise-Artikeln im Fanshop und dann eben dieser selber aufgesetzten und ja auch gelebten kritischen Haltung gegen Commerz und gegen Sell-Out? Ja, ist es definitiv. Deshalb ist in den letzten Jahren auch bei uns oder haben wir viel Aufmerksamkeit und Arbeit reingesteckt, um erstmal so Widersprüche sichtbar zu machen und dann auch aufzulösen. Weil ich würde ja nie sagen, und weil es auch nicht wahr wäre, dass der FC St. Pauli zum Beispiel nicht kommerziell sei. Natürlich sind wir kommerziell und vielleicht sind wir sogar kommerzieller als andere, weil es ja irgendwie das Antikommerzielle ist, was wir auch kommerzialisieren. Oha, das ist ja fast schon Meta. Aber, und das ist der Unterschied, wir können sagen, warum wir das machen. Und wir machen es nicht nur, um erfolgreich Profifußball zu spielen, sondern der Profifußball ist die Bühne für die Werte der Wertegemeinschaft des FC St. Pauli. Und wir zumindest sind der Meinung, es ist wichtig, dass diese Werte eine große sichtbare Bühne haben. Und um aber Profifußball zu spielen, brauchst du natürlich Geld. Alles andere ist ja naiv. Und insofern sind wir ein bisschen kommerziell oder kommerziell halt im Rahmen, aber der Werte, die dann bilden. Oder eben konkretes Beispiel, dass wir auf bestimmte Einnahmen verzichten. Wir haben ja zum Beispiel auch keinen Sportwettenanbieter mehr, um halt nicht, weil wir glauben, man muss nicht jeden Quatsch mitmachen, der einem im Doppelpass oder in der Bildzeitung erzählt wird. Du hast es auch schon angesprochen: die Wertegemeinschaft der Fans und diese aktive Fanszene bei St. Pauli, die hat auch wirklich eine andere Rolle als bei vielen anderen klassischen Bundesliga-Vereinen. Das muss man mal so sagen. Denken wir mal an Bayern München oder Borussia Dortmund, wo es dann einmal im Jahr so eine Hauptversammlung gibt. Gleichzeitig reden die Fans bei euch ja auch ziemlich selbstbewusst mit. Wie organisiert ihr das dann in deinem Bereich zum Beispiel? Gibt es da jede Woche ein Treffen mit den Fans oder jeden Monat? Oder wie musst du dir das vorstellen? Zunächst mal hast du ja die Sonderstellung der Fans bei uns irgendwie herausgehoben. Also ich bin mir sehr sicher, ohne es bei jedem Verein zu kennen, jede Fanszene in jedem Verein, die aktive Fanszene, tut das Möglichste, um das Beste auch für den Verein irgendwie zu erreichen. Also vielleicht ist es bei uns so, dass es zugänglicher ist, also dass der Einfluss ein anderer ist, vielleicht sogar größer, weil die Nähe einfach größer ist. Aus unseren Gremien kommen halt sehr viele aus der aktiven Fanszene beziehungsweise sind nah an ihr dran. Und das ist vielleicht irgendwie ein Unterschied. Aber macht jetzt die anderen Fanszenen nicht schlechter, das wollte ich nur einmal kurz darstellen. Und ich kann das ja für meinen Bereich, da hast du ja auch nur noch gefragt, kann das Dialog auf Augenhöhe zu führen. Und dass wir, wenn wir Themen haben, wo wir nicht sicher sind oder Dinge, die zum Beispiel vielleicht das Stadionerlebnis verändern, da gehen wir rechtzeitig auf die aktive Fanszene beziehungsweise auf das Fanprojekt zu und sagen: „Guck mal, das und das haben wir vor. Was haltet ihr denn davon?“ Und dann erteilen die uns auch keine Absolution. Aber es hat viel mit einem offenen, vertrauensvollen Austausch zu tun. Und zumindest in meiner Erfahrung ist es so, in den jetzt übrigens bald elf Jahren, die ich hier bin, gehen natürlich auch mal Sachen schief und alle machen irgendwie Fehler. Aber ich glaube, dass wir schon da ein vernünftiges Miteinander haben, weil ganz grundsätzlich, das ist zumindest meine Überzeugung, wollen Fans vor allen Dingen, ja auch die Ultras, die wollen ja das Beste für den Verein. Und die haben ja eigentlich kein Interesse daran, dass es dann da irgendwie nicht mehr funktioniert. Trotzdem haben sie natürlich irgendwie jedes Recht zu sagen: „Das würden wir jetzt anders machen, das finden wir blöd.“ Ihr habt jetzt gerade im Herbst auch eine Genossenschaft gegründet. Mehr als 20.000 Leute sind da bereits Mitglied und ihr wollt damit beweisen, dass auch eine andere Finanzierung des Fußballs möglich ist. Was ist denn der Kerngedanke dahinter? Also gegründet wurde sie tatsächlich schon 2024, trägt sie auch im Namen. Wir haben aber bis März 25 Geld eingesammelt und sie hat im Herbst jetzt tatsächlich die Mehrheit am Stadion übernommen. Und die Idee dahinter ist, was ich vorhin schon mal gesagt habe: Für Profifußball braucht man viel Geld. Und wenn man so wie wir der Überzeugung ist, ein mitgliedergeführter Verein ist das richtige Gefäß für Profifußball, weil der Fußball nun mal den Menschen gehört und wir keine Investoren wollen, also zumindest für unseren Verein. Für alle anderen ist ja 50 plus 1 Mindestregel. Wir wollen das nicht. Dann müssen wir uns ja die Frage beantworten: Wenn wir kompetitiv bleiben wollen, wo soll das Geld denn herkommen? Und die Idee ist deshalb, eine gemeinschaftliche Finanzierung wie über eine Genossenschaft hinzukriegen. Das heißt, ähnlich wie beim e.V. eine Kapitalgesellschaft, weil eine Genossenschaft ist eine Kapitalgesellschaft, die dem e.V. halt sehr nahe kommt. Nämlich wo viele sich zusammenfinden, um das zu schaffen, was man alleine nicht schafft, nämlich in diesem Falle den Verein wettbewerbsfähig zu halten. Gebaut ist das Ganze so, dass 23.000 Menschen 850 Euro kostet ein Anteil. Im Schnitt wurden 1,2 gekauft, also knapp 30 Millionen Euro wurden eingenommen. Und diese 30 Millionen Euro sind an den e.V. geflossen. Dafür ist die Mehrheit des Stadions an die Genossenschaft gegangen. Und mit einem Schlag ist der Verein seine Schulden los, kann wieder investieren und hat wieder ein vernünftiges Eigenkapital, um auch bei Banken wieder, wie Wilken Engelbracht, mein Kollege beziehungsweise der Geschäftsleiter Wirtschaft, man hat so schön gesagt, er kriegt auch wieder einen warmen Kaffee oder einen heißen Kaffee angeboten bei der Bank. Das ist die Idee dahinter, also eine Kapitalgesellschaft, die diesen Mitbestimmungscharakter hat. Denn das ist ja auch entscheidend bei einer Genossenschaft. Auch wenn du für eine Million Euro Anteile kaufst, du hast trotzdem nur eine Stimme. Es ist nicht so, dass dadurch irgendjemand auf einmal vorherrscht und sagen kann, wo es lang geht. Martin Drust über die Genossenschaft des FC St. Pauli. Im November 2025 wurde übrigens offiziell bestätigt, dass die Genossenschaft jetzt die Mehrheit am Millantor Stadion, also dem Stadion des Vereins, übernommen hat. Seit der Saison 24/25 spielt der FC St. Pauli ja auch wieder in der ersten Bundesliga. Warum das für den Verein Fluch und Segen zugleich ist, das erfahrt ihr, wenn ihr den Podcast in voller Länge hört. Ich verlinke ihn euch in den Shownotes. An dieser Stelle noch ein Danke an Benjamin Serdani, der diese Folge produziert hat, und natürlich auch an euch fürs Zuhören. Ich bin Jessi Jus, wir hören uns wieder im neuen Jahr. Bis dahin macht’s gut, ciao.